wa deg15aa) Persönliches
Nach Pfarrer Fleischhackers Tod im Jahre 1893 wählte die Gemeinde Edmund Scholtz, 1869 in Oberungarn (Zips) geboren, zu ihrem Pfarrer. Zwei Jahre war er Kaplan seines Vorgängers und 45 Jahre Geistlicher der Kirchengemeinde. Unter seinen Zeitgenossen gehörte er zu den Hervorragendsten.
 
Gegenüber dem Rationalismus und Liberalismus der führenden Kreise vertrat er die Sache des Glaubens und der Mission. Unermüdlich war seine Feder! Seit Anfang des Jahrhunderts verfasste er das Blatt "Außenmission". Das Ergebnis seiner Bemühungen war, dass er 1909 den Missions- Verein gründete und dessen erster Präsident wurde. Er hielt enge Verbindung mit dem "Lutherischen Gotteskasten" und dem Gustav- Adolf- Verein in Deutschland. Der von den Bauersleuten so geschätzte "Gotthold-Kalender" und die in deutscher Sprache verfassten "Biblische Geschichten", die im Religionsunterricht der Volks- und Bürgerschule eine so wichtige Rolle spielten, entstammen auch seiner Feder. Als Anerkennung seiner vielseitigen Bemühungen bestellte man ihn von 1912-1937 zum Senior des Oberen-Ödenburger Seniorates.
 
b) Das Aufblühen der Gemeinde
  1. Sanierung des Gemeindehaushaltes Edmund Scholtz begann nach seiner Wahl mit jugendlichem Schwung die äußeren und inneren Angelegenheiten der Gemeinde zu ordnen. Tatkräftig drängte er auf die Eintreibung des aufgelaufenen Kirchensteuerrückstandes; sogar von einer Inanspruchnahme des Gerichtsvollziehers schreckte er nicht zurück. Er drängte auch, dass die Kirchengemeinde ihre Schulden bei der Witwe Karl Fleischers und die vom Schulbau 1887 zurückgebliebenen Schulden beglich. So konnte er dann 1902 bekannt geben, dass die Kirchengemeinde seit Jahrzehnten wieder schuldenfrei sei.
  2. Der innere Aufschwung Auch der innere Aufschwung machte sich bald bemerkbar. Edmund Scholtz kam öfters nach Wandorf herüber, veranstaltete verschiedene kirchliche Feste, führte das Christbaum-Fest ein (Einstellung dieses Festes nicht bekannt) und bekundete öfters, dass der Betsaal bei Gottesdiensten und Festen zu überfüllt und deshalb ein Kirchenbau notwendig sei.
 
wa deg15bEine eifrige Helferin bei der Arbeit war ihm Frau Michael Tschurl, geborene Luise Fürst (1856-1918), die Gattin eines wohlhabenden Bauern, die unermüdlich die Gläubigen zu den verschiedensten kirchlichen Veranstaltungen sammelte und organisierte. Sie führte auch die Sammlungen für wohltätige Zwecke (Talar, Aufbahrungstuch u. a.) durch und ging mit ihrer Mildtätigkeit mit gutem Beispiel voran. Durch ihre Spende in Höhe von 1000 Kronen kam der Orgel-Fonds zustande, und dem im Jahre 1907 gegründeten Frauenverein war sie bis zu ihrem Tode eine gewissenhafte Kassiererin.

 


 
 

3. Der Selbständigkeits-Gedanke
Edmund Scholtz sah von Anfang an, daß die seelische Betreuung der Wandorfer Gemeindeglieder nur möglich sei, wenn die Filiale Wandorf ihre Selbständigkeit erhält. Mit einer eigenen Spende in Höhe von 20 Kronen gründete Pfarrer Scholtz 1895 den Luther-Fonds., dessen Ziel bei einer Verselbständigung der Gemeinde die Ergänzung der Pfarrerbesoldung, sowie die Unterstützung des Kirchen- und Pfarrhausbaues war. Dieser Kirchenfonds vermehrte sich jährlich durch die Kollekten der Gemeinde und durch die Spenden einzelner Gemeindeglieder. Um die Verselbständigung voranzutreiben, begann Edmund Scholtz 1902 eine Korrespondenz mit der Leitung des Lutherischen Gotteskasten in Deutschland. Auf Antrag der Gemeinde Wandorf gab dieser 1903 eine erste Spende, worauf dann Jahr für Jahr weitere eintrafen. Von diesen Spenden kam dann 1904 der Pfarrhausbau-Fonds zustande.
 

c) Die innere Umwandlung der Gemeinde
 

1. Die Überbevölkerung
Die Gemeinde Wandorf wuchs in der Jahrhundertwende rapide an. Die Seelenzahl der politischen Gemeinde:
 
1900 2225 davon evangelische 1578
1910 2789 davon evangelische 1952
1920 2995 davon evangelische 2024

Diese Seelenzahl überstieg somit die der Agendorfer Muttergemeinde. Und die Bevölkerungsdichte erreichte so die 500 - das Siebenfache des Landesdurchschnitts! Die Folgen der Überbevölkerung zeigten sich unverkennbar: Die Bevölkerung verarmte, viele litten Not. Es war keine Seltenheit, dass eine 8-10köpfige Familie ein einziges Zimmer bewohnte. Die Vitalität der Bevölkerung zeigte sich darin, dass sie sich auf Arbeitssuche machte. Da aber die Ödenburger Fabriken und Industrieunternehmen den Arbeiterüberfluss nicht aufnehmen konnten, suchten viele bei den Industrieniederlassungen Österreichs Anstellung. Oft sogar so, dass sie nur zeitweise ihre daheimgebliebene Familie besuchen konnten. Um 1903 begann eine Auswanderung nach Schlesien, Posen und Ostpreußen, und dann auch nach Amerika.


2. Antikirchliche Strömungen
Das vergangene Jahrhundert wandelte die innere Strukturen; die Gemeinde verließ jetzt ihre Geschlossenheit und öffnete sich zur Welt hin. In die Ödenburger Fabriken brachte man aus dem Ausland, vor allem aus Osterreich und Deutschland, Facharbeiter und Führungskräfte. Durch diese und die im Ausland gewesenen Arbeiter zog der moderne Geist in die Gemeinde ein, der damals schon auf marxistischer Grundlage sozialistisch, materialistisch und zumeist ganz öffentlich atheistisch und kirchen- feindlich war. Der Boden in der Gemeinde war dafür vorbereitet. Die durch die Verarmung zum Teil heruntergekommene Bevölkerung erhielt, da Wandorf immer nur Filiale gewesen war, nie die nötige kirchliche Betreuung. Dazu kam noch die Tätigkeit der zwei Lehrer Philipp Nitschinger und Ignaz Ritzinger, die ihre freidenkerischen Ideen nicht nur in der Schule, sondern auch unter der Bevölkerung verbreiteten. Dieser Geist verbreitete sich schnell. Schon in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts eroberte er den ansehnlichsten Teil der Gemeinde, gerade die tonangebende Kreise, hauptsächlich die Männer.

3. Die Führung entgleist dem Pfarrer
Pfarrer Scholtz versuchte die Zügel fest in der Hand zu behalten und nutzte auch die rechtlichen Möglichkeiten. Den Kirchensteuerrückstand ließ er wiederholt gerichtlich eintreiben. Dem Kurator (Kirchenvater), der sich am Geld der Kirchengemeinde vergriffen hatte, hing er ein Disziplinarverfahren an. Da er bei der Schule gute Beziehungen besaß, konnte er mit Hilfe des Schulamtes die Interessen der Kirche geltend machen. Aber die Führung in der Gemeinde entglitt ihm allmählich. Vor 1905 war der Betsaal, vor allem bei den größeren Feiertagen, öfters überfüllt, doch als er später die zahllosen Bittgesuche zur Erreichung von Kirchenbau-Spenden schrieb, erwähnte er nie in der Begründung, dass im Betsaal zu wenig Platz sei. Die Hauptversammlungen der Gemeinde waren meistens auch schlecht besucht. Edmund Scholtz beklagte sich auch öfters, dass immer mehr Leute die kirchliche Trauung übergingen und sogar ihre Kinder nicht taufen und konfirmieren ließen. Er sah ganz klar, dass nur die Verselbständigung der Gemeinde diese Lage noch ändern könne. Er nahm mit dem Lutherischen Gotteskasten und der Leitung des Gustav-Adolf- Vereines in Deutschland Verbindung auf, holte dieselben nach Wandorf und machte eine Deutschlandreise, wo er fleißig Spenden sammelte. Die in- und ausländischen Spenden häuften sich, so daß man um 1910 an den Grundstückkauf, ja sogar an den Kirchen- und Pfarrhausbau denken konnte.

d) Der erste Verselbständigungs-Versuch

1. Der Erste Weltkrieg
Wir haben kaum Angaben, wie der 1. Weltkrieg das Leben der Gemeinde beeinflusste. Anfangs war es die Erregung des Krieges, dann die Nachrichten über die Kriegsverluste, später die Sorgen über die steigende Teuerung, die die Menschen beschäftigte. Die aus kirchlicher Hinsicht gefährlichen Lehrer verschwanden und ein Großteil der Männer, natürlich auch Freidenker, waren auf den Kriegsschauplätzen. So verstummten langsam die antikirchlichen Töne. Edmund Scholtz konnte m dieser Zeit nur selten f nach Wandorf kommen. Im Jahre 1916 nahm man der Gemeinde für Kriegszwecke die große und kleine Glocke. Viele beweinten diesen Verlust!

2. Der Verselbständigungs-Beschluß
Unter solchen Umständen bereitete sich 1917 unsere Kirche auf die 400-Jahresfeier der Reformation vor. Auch in dieser schweren Zeit wollte sie das Gedenkfest der Reformation würdig begehen. Schon 1908 sollte die Gemeinde erklären, welche Pläne sie bis zu diesem Feste verwirklichen wollte. Die Hauptversammlung steckte sich den Kirchenbau und die Verselbständigung der Gemeinde zum Ziel. Jetzt drängte sogar das Seniorat schon auf die Verselbständigung der Gemeinde und setzte ihr von der Rad6-Lajos-Stiftung eine jährliche Beihilfe in Höhe von 700 Kronen aus. Schließlich sprach sich am 25. März 1917 die Hauptversammlung für die Verselbständigung der Gemeinde aus, aber nur für den Fall, daß für die Hälfte der Pfarrerbesoldung eine Staatssubvention gewährt würde und die Gemeinde auch tatsächlich die oben genannte Beihilfe erhielte, damit sie nicht noch größere Lasten zu tragen habe.

Im Dezember 1917 erschien auch der nach Wandorf versetzte Kaplan Johann Grössing. Er wurde in der Gemeinde begeistert empfangen, besonders von den Frauen und Mädchen. Als Wohnung stellte man ihm das Konferenzzimmer der Schule zur Verfügung. Sonntag vormittags hielt er den Gottesdienst, nachmittags Kindergottesdienst. Die Gemeinde war glücklich, denn er verrichtete sämtliche kirchlichen Funktionen und man brauchte nicht mehr nach Agendorf gehen. Auf der Hauptversammlung vom 1. April 1918, an der 33 Männer und viele Frauen anwesend waren, wurde dem Kaplan folgende Besoldung zugesprochen: 700 Kronen Wohngeld, 600 Kronen Bargeld jährlich, Stola, 2 Klafter Holz für die Heizung der Schreibstube und ein Drittel der sonntäglichen Kollekte. Man verlangte nun die Entlastung aus der Muttergemeinde Agendorf und vereinbarte, dass bis zur Durchführung des Beschlusses Edmund Scholtz von der Gemeinde sein bisheriges Gehalt und die Stolagebühren erhält, dann aber verzichtet. Als Entschädigung erhält er dann von den Zinsen aus dem Lutherischen Gotteskasten jährlich 442 Kronen.

3. Das Ende des Versuches
Im Protokollbuch der Hauptversammlung vom 9. Juni 1918 ist zu lesen, dass wegen des Verselbständigungsbeschlusses in der Gemeinde ein Streit entstanden war und die Hauptversammlung deswegen, dem Rat des Bischofs folgend, die Durchführung des Beschlusses auf bessere Zeiten zu- rückstellte. Edmund Scholtz erzählte später seinem Nachfolger Pfarrer Karl Pröhle, dass für das Scheitern des Beschlusses die Gemeinde verantwortlich war. Nach der Schilderung einiger wissender Gemeindeglieder führte aber das Verhalten Scholtz' die Zwietracht herbei, weil er auch während der Amtszeit Kaplan Grössings in Wandorf das Pfarrergehalt und die Stolen für sich beanspruchte. In der Gemeinde kam die Losung auf: "Wir können nicht zwei Pfarrer bezahlen!" Johann Grössing verließ noch im August 1918 Wandorf und wurde dann Seelsorger in Mörbisch am See. Und damit hatte der Versuch einer Verselbständigung ein trauriges Ende gefunden.

e) Zwischen den zwei Weltkriegen (1916-1938)

1. Die Entwicklung der Gemeinde

Im Jahre 1920 2995 davon evangelische 2024
Im Jahre 1930 3273 davon evangelische 2335
Im Jahre 1940 3600 davon evangelische 2547

Die Zunahme der Bevölkerung verlief nicht immer so schnell, wie im vorigen Jahrhundert, aber die natürliche Vermehrung betrug noch immer das Doppelte des Landesdurchschnitts: 20,1%. Die Bevölkerungsdichte überstieg jetzt schon die 600. Wegen der beklemmenden Überbevölkerung begann nach dem Krieg eine beträchtliche Auswanderung in Richtung Österreich, Amerika. In den zwanziger Jahren wanderten mehr als 300 Wandorfer aus, das waren 10% der Dorfbevölkerung. Nebenbei war auch die Einwanderung ziemlich ansehnlich. Meistens waren es in der Stadt beschäftigte Beamte, Pensionäre, kleine Leute, die ihre in der Stadtnähe befindlichen Grundstücke bebauten und sich niederließen. Die Einwanderer waren rneistens Magyaren und römisch katholisch, die städtisch orientiert waren, sich aber um die Gemeinde nicht kümmerten, die aber das nationale und konfessionelle Verhältnis zugunsten der Ungarn und Katholiken modifizierten. Die Nähe der Stadt zeigte fortwährend ihre schädliche Wirkung. Zwei Drittel der Gemeindebevölkerung arbeitete und lebte von der Stadt, aber diese übernahm keinerlei Verantwortung für sie. Anfangs der dreißiger Jahre entließen die Ödenburger Betriebe an erster Stelle die Wandorfer Arbeiter, damit die Stadt nicht für sie sorgen musste. In Ödenburg gab es kaum Arbeitslosigkeit, in Wandorf hingegen war sie sozusagen unerträglich. Und viele beschäftigten sich, denn leben wollte man ja, mit der riskanten Schmuggelei. Die Ödenburger kamen oft nach Wandorf zu nicht immer noblen Vergnügungen, die Wandorfer hingegen suchten gerne die Stadt auf. Die Ödenburger Zeitungen prangerten gerne die Wandorfer "Tugenden" und Zustände an, vergaßen aber, dass die Nähe der Stadt dafür verantwortlich war. Die inzwischen mit der Stadt zusammengewachsene Gemeinde sollte ja eigentlich mit derselben vereinigt werden, doch die klerikale und bürgerlich denkende Leitung Ödenburgs verhinderte dies, weil sie das Anwachsen der Stadtbevölkerung durch Evangelische und Deutsche nicht wollte. Wandorf war ohnehin zu einer besonders zusammengesetzten Kommune geworden: 20% Ackerbauern, 70% Arbeiter und 3% Intelligenz, die aber in der Gemeinde keinerlei Rolle spielte. Wandorf war kein Dorf mehr, denn seine Bevölkerung hatte eher eine städtische Zusammensetzung, jedoch keine Stadt, denn es fehlte ihr die führende Stadtintelligenz. Wandorfs Gemeinde- und Kirchenleben musste viel ungerechte Kritik über sich ergehen lassen, weil man nicht seine besondere, zwischen Stadt und Dorf gelegene, Lage erkannte und es einfach mit den benachbarten Agrargemeinden oder mit der Stadt verglich.

2. Marxistische Strömungen
Wandorfs breite Schichten kannten seit langem die Lehren des Marxismus, und infolge ihrer proletarischen Situation waren sie auch geeignet, dieselben aufzunehmen. Aus der Zeit der Kommune nach dem 1. Weltkrieg sind keinerlei Ausschreitungen bekannt, aus der Zeit der Gegenrevolution auch keine Vergeltungen. Dagegen waren die Arbeiter Wandorfs später im allgemeinen Sozialdemokraten, die bei den Wahlen selbstverständlich die Abgeordneten ihrer Partei wählten und die sogar die höchste Prozentzahl des Landes erreichten. Viele lasen die marxistische Literatur und mit dieser gelangte die Unzufriedenheit mit dem damaligen System in ihre Herzen und die Abneigung gegen Kirche und Religion. Die weltliche Führung tat die berechtigten, aber von der Not diktierten Klagen da- mit ab, dass sie behauptete: Die Wandorfer sind Kommunisten! Die Arbeiterschaft hatte leider den Eindruck, dass sich die Kirche in Wandorf nicht mit der Arbeiterschaft beschäftige, und sie wusste mit ihr auch nichts anzufangen.

3. Die Verbreitung des deutschen Geistes
Nach dem verlorenen Weltkrieg, als die deutsche Bevölkerung des Burgenlandes zu Osterreich kam und Ödenburg mit den umliegenden Dörfern bei Ungarn blieb, erwachten auch die Wandorfer zu ihrem nationalen Bewusstsein. Der Plan eines Anschlusses an Osterreich wühlte schon am Anfang der zwanziger Jahre das Seelenleben der Gläubigen auf, denn 75% derselben fühlten sich als Deutsche. Die Regierung der Gegenrevolution erfüllte ihnen 1919 jeden Wunsch und führte sozusagen von heut auf morgen die deutsche Amtssprache ein. Pfarrer Edmund Scholtz, ein gebürtiger Zipser, konnte in dieser turbulenten Zeit auch nicht abseits stehen und bekannte sich öffentlich zum Deutschtum. Die westungarischen Deutschen wählten ihn alsbald zu ihrem Abgeordneten. In seiner geschickten Politik betonte er aber immer wieder die Treue zum Vaterland, tat aber alles für die Hebung des deutschen Selbstbewusstseins. Zumeist kann man es seinem Wirken zuschreiben, dass man bei den Schulen den A- Typ wählte, wonach die ungarische Sprache in 6 Stunden wöchentlich unterrichtet wurde.

4. Das Leben der Gemeinde (Verhältnis zwischen Gemeinde und Pfarrer)
Edmund Scholtz sah ein, dass man sich mehr um die Filiale Wandorf kümmern sollte. Die Wandorfer gewöhnten sich in Verbindung mit der Verselbständigung daran, dass sie nicht mehr nach Agendorf zum Gottes- dienst mussten und erwarteten nun, dass der Pfarrer zu ihnen komme. Pfarrer Scholtz schickte seine Kapläne zweimal monatlich nach Wandorf. Dies zeigte langsam eine günstige Wirkung. Er selbst fand den Weg sehr selten zu uns. Leute, die es nicht gut mit ihm meinten, erzählten, dass er die Stolagebühren und den Fuhrlohn für sich einkassierte, auch dann, wenn er zu Fuß kam oder den Kaplan zu Fuß schickte. Man nahm ihm auch übel, dass er die kirchlichen Angelegenheiten mit Politik vermischte und auf der Kanzel politisierte. Nach dem Kriege wollte er immer wieder die Gemeinde auf materieller Grundlage bauen und so ihre Verselbständigung vorbereiten. Die Kirchensteuer ließ er ab 1927 gemeinsam mit den staatlichen Steuern einziehen, in der Meinung, daß dies für den Abbau des Kirchensteuerrückstandes die beste Lösung sei. Die in der Inflation ent- werteten Fonds wollte er wiederbeleben, konnte aber die Gemeinde dafür nicht interessieren. Vom Luther-Fonds verlangte und erhielt er 4645 Pengö für den Kirchen- und Pfarrhausbau und kaufte ein Grundstück von 929 Klafter, auf dem das jetzige Pfarrhaus steht. Mit den Kollekten der Gottesdienste und den Resten der Gemeindekasse bildete er einen Glocken-Fonds zwecks Kauf zweier Glocken, die man während des Krieges fortgeholt hatte. In den Jahren 1934 und 1936 entstanden Kirchen- und Pfarrhausbaupläne zwecks Sammeln von ausländischen Beihilfen. Pfarrer Scholtz reiste ins Ausland, vor allem nach Deutschland und sammelte Spenden. 1937 standen mehr als 20 000 Pengö zur Verfügung, aber zum Bauen kam es nicht.

In den dreißiger Jahren sah man ein Zeichen dafür, dass das Gemeindeleben einen Aufschwung nahm. Zu danken dafür war in erster Linie den Kaplänen, die häufig nach Wandorf kamen, und dem Einsatz der Lehrer. Jeden zweiten Sonntag hielten die Vikare Gottesdienst und öfters veranstalteten sie auch religiöse Abende, wobei sich der Betsaal immer als zu klein erwies. Sie versuchten es auch mit der Jugend, in Verbindung mit dem Religionsunterricht der Wiederholungsschüler und der Levente- Jugend. Von den Lehrern ist besonders die Erzsi-neni (Elisabeth Ruch) zu nennen, die im Rahmen des Schul-Roten-Kreuzes stimmungsvolle Weihnachtsaufführungen von hohem Niveau veranstaltete und somit gute Gemeindearbeit leistete. Jakob Guhr und später Ladislaus Polster spielten bei den Sonntagsgottesdiensten das Harmonium, führten und brachten den Männergesangverein "Harmonia" zur Blüte, der, obwohl er ein weltlicher Verein war, häufig aber im Gottesdienst und bei sonstigen Gemeindefeierlichkeiten auftrat.

5. Verlauf des 150jährigen Jubelfestes der Muttergemeinde
Die Kirchengemeinde Agendorf-Wandorf feierte Sonntag, den 22. September 1935, das Jubelfest des 150jährigen Bestehens ihrer Kirche. Das vor 150 Jahren erbaute und vor 100 Jahren gänzlich umgebaute Gotteshaus wurde auch diesmal innen und außen renoviert.

An diesem sonnigen Septembermorgen zogen Mitglieder der Filialgemeinde Wandorf zu Hunderten zum Fest, zu dem sich auch aus den Nachbargemeinden Harkau und Wolfs viele, aus der Stadtgemeinde Ödenburg aber mehrere Hundert Glaubensgenossen eingefunden hatten. Inzwischen strömten auch die Agendorfer, sowie die Vereine mit ihren Fahnen zur neuen Schule, als zur bestimmten Sammelstelle, von wo aus sich um dreiviertel 9 Uhr der Festzug unter den Klängen der Musikkapellen und unter Glockengeläute zur Kirche in Bewegung setzte. Es war ein farbenprächtiges Bild: Die Wandorfer Mädchen in weißem Festgewand, die Agendorfer in ihrer kleidsamen Volkstracht, die Levente in Weißhemden, die Feuerwehr und Veteranen in Uniform, die Gesangvereine von Agendorf und Wandorf mit ihren Fahnen, in einer fast nicht enden wollenden Reihe. Bei dem Pfarrhause machte die Spitze des Zuges Halt und die Posaunen der Wandorfer Levente spielte unter Leitung des Lehrers Ladislaus Polster die zwei Choräle: "Wachet auf, ruft uns die Stimme" und "Ein feste Burg ist unser Gott". Nun stellte sich die Geistlichkeit auf: Senior Edmund Scholtz, der Dekan der evangelischen theologischen FakultätÖdenburg Baron Paul Podmaniczky Oberregierungsrat Ludwig Ziermann (Ödenburg), Pfarrer Robert Danielis (Harkau), Alexander Schermann (Wolfs), Vikar Rudolf Weltler (Agendorf), Ehreninspektor Karl Hackstock, Qberstuhlrichter Dr. Josef Czillinger, Lyzealdirektor Samuel Nemeth, die Ödenburger Schuldirektoren Samuel Graf, Johann Neubauer, Samuel We- ber, Jakob Guhr (Wandorf), die Kirchenväter Johann Hauer (Agendorf), Ferdinand Kranixfeld (Wandorf), Lehrer Ernst Tiefbrunner (Wandorf) und viele andere mehr.

Gewaltig ertönte die von Kantor Julius Purt gespielte Orgel und mächtig stimmte die Gemeinde in das Lied ein, das einst vor 150 Jahren auch die Voreltern sangen: "Freut euch, ihr Christenglieder!" In der darauffolgenden Liturgie hielt Senior Scholtz dieselben Gebete und verlas denselben Text (1. Könige 8,25-30) wie sein einstiger Vorgänger Pfarrer Matthias Harnwolf bei der ersten Weihe. Auch nahm er im Namen und Auftrage des am Erscheinen verhinderten Bischofs Dr. Bela Kapi die Wiedereinweihe des schön erneuerten Gotteshauses vor. Als Hauptlied wurde ebenfalls das vor 150 Jahren gesungene Gelegenheitslied gesungen, in dem zwei Strophen direkt der Erinnerung des Königs Josef II. gewidmet sind, dem die Vorfahren die Religionsfreiheit und die Erlaubnis zum Kirchenbau dankten.

Unterdessen bestieg Pfarrer Robert Danielis (Harkau) die Kanzel und hielt über Psalm 84, 1-13 die Festpredigt. Nach der Einleitung sang der Agendorfer Männergesangverein "Liederstrauß" unter Leitung des Lehrers Felkay das Lied: "Sanktus" von Schubert. Den Eindruck der Predigt hob dann noch das vom Wandorfer Männergesangverein "Harmonia" unter Leitung des Lehreres Polster vorgetragene ergreifende Lied von Teerstegen: "Ich bete an die Macht der Liebe!"

In der eingetretenen Pause begrüßte Senioralinspektor Dr. Emil Brunner seitens des Seniorates, Prof. Baron Dr. Paul Podmaniczky seitens der theologischen Fakultät, Pfarrer Ludwig Zierman seitens der Kirchengemeinde Ödenburg die feiernde Festgemeinde. In deren Namen sagte herzlichen Dank der Kircheninspektor, Direktor in Brennberg Georg Breuer.

Nun schilderte Ortspfarrer Scholtz in großen Zügen die Geschichte des Baues und der ersten Weihe der Kirche. Mit dem Gemeindegesang; "Taufstein und Kanzel und Altar, empfehlen wir Dir immerdar" und mit dem Absingen der Nationalhymne fand das erhebende Fest ein Ende.

"so hat denn die Agendorfer Muttergemeinde" - eine alte Aufzeichnung zitiert - "einen Tag erlebt, der noch lange in wohltuender Erinnerung unter den Mitgliedern derselben leben und als ein heiliger im Gedächtnis seiner Mitglieder fortleben wird."

6. Die Pensionierung von Edmund Scholtz
Edmund Scholtz verabschiedete sich Ende 1938, nach 47jährigem Wirken, müde geworden, von seinen Gemeinden: Von Agendorf herzlich und freundlich, von Wandorf voller Bitterkeit. In seiner Abschiedspredigt über Joh. 1, 19-23 sprach er darüber, dass sein Wort in Wandorf das Wort eines Rufers war, ein in der Wüste verklungenes Wort. Die Gemeinde hat ihm das übel genommen.

Wenn wir aus unserer heutigen Sicht manchmal Kritik an seiner Arbeit üben, wollen wir aber nicht verkennen, dass er in seiner Zeit und seiner Überzeugung nach mit apostolischer Treue und Hingabe für seine deutschen Gemeindemitglieder gedient hat. Mit ihm endet eine Kirchenperiode, in der die drei Gemeinden Agendorf, Wandorf, Loipersbach über 400 Jahre gemeinsames Leid und gemeinsame Freude getragen haben. Die Filiale Loipersbach wurde, nachdem das Burgenland an Österreich angeschlossen wurde, von dem Kirchspiel Agendorf getrennt.

Quelle: Wandorf - Geschichte und Entwicklung
Die Geschichte und Entwicklung eines ehemaligen Stadtdorfes Ödenburgs
Hans Degendorfer, Matthias Ziegler (1991)