1150 Jahre Odinburgh Im Jahre 859, also vor 1150 Jahren, stellte Ludwig der Deutsche (->Wikipedia) jene Urkunde aus, in der Odinburch – Ödenburg erstmals urkundlich erwähnt wird. Offenbar wird dieses Ereignisses weder in Sopron noch in Bad Wimpfen gedacht. Es soll daher zumindest zum Anlass genommen werden, in diesem Aufsatz nochmals und unter Berücksichtigung des heutigen Wissensstandes, auf die Entstehung und Entwicklung des Ortsnamens einzugehen.
Ein überaus spannendes wissenschaftsgeschichtliches Lehrstück ist der Streit um Herkunft und Entwicklung des Stadtnamens. Darüber könnte man ein eigenes Buch schreiben - ein neues Buch, denn eines wurde darüber schon geschrieben. Der bekannte Budapester Germanist Ödenburger Herkunft, Karl Mollay, veröffentlichte 1944 in Budapest in der „Ostmitteleuropäischen Bibliothek“ das Buch mit dem Titel Scarbantia, Ödenburg, Sopron. Siedlungsgeschichte und Ortsnamenskunde. Mollay meinte allerdings, die Reihenfolge Scarbantia - Sopron - Ödenburg wäre richtiger. Er wandte viel Kraft und Mühe auf, um zu beweisen, dass der „ungarische“ Ortsnamen Sopron vor dem deutschen Odinburch zu stehen hat - und dass Odinburch keinesfalls Ödenburg ist.
Man muss die erbitterte Auseinandersetzung um „Odinburch“ freilich im historischen Zusammenhang sehen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte der immer heftiger einsetzende Nationalismus sich der Ortsnamenskunde und der Siedlungsgeschichte bemächtigt und diese instrumentalisiert. Vom Ortsnamen leitete man damals auch die nationale Zugehörigkeit der Bewohner ab - eine sehr vereinfachende Sicht. Damals aber kannte man keine Zwischentöne, keine Beachtung der höchst komplexen historischen Vorgänge. Diese wären wohl auch für den populärhistorischen Einsatz der „Geschichte“ im Nationalitätenstreit nicht sehr brauchbar gewesen. Natürlich meinten auch manche Historiker und Sprachwissenschaftler, ihren Patriotismus zeigen zu müssen. Das trifft wohl auch auf den damals noch jungen Karl Mollay zu, der 1944, zu einem Zeitpunkt also, als sich die deutsche Niederlage bereits abzeichnete und das Gerücht, die Deutschen würden Ödenburg nun wohl an das Dritte Reich anschließen, nicht verstummen wollte, seine Brandschrift für das „magyarische“ Ödenburg veröffentlichte. Man sollte ihn deshalb auch nicht allzu hart beurteilen, denn später hat er viel für die Erforschung des deutschen Ödenburg geleistet. Das soll uns aber nicht daran hindern, am Beispiel seines Werkes aufzuzeigen, mit welch zweifelhaften Methoden man damals arbeitete.
Es ging Mollay darum, zu „beweisen“, dass die Stadt Sopron vom Anfang an „magyarisch“ war und erst später „germanisiert“ wurde. Das war natürlich ein schweres Stück Arbeit, denn die Quellen bezeugten einen anderen Tatbestand. Da war zunächst die Urkunde Ludwigs des Deutschen aus dem Jahre 859 mit der ersten Erwähnung von „Odinburch“. Sie stammte aus der Karolingerzeit, also aus einer Zeit, in der es noch keine Magyaren im Karpatenbecken gab. Diese Urkunde war das größte Ärgernis, denn sie beantwortete die Frage: „Wer war zuerst da ?“ eindeutig, wobei es natürlich immer problematisch war, die fränkisch - bayerische Präsenz als „deutsche“ Inbesitznahme oder gar Besiedlung zu interpretieren. Aber nicht nur der magyarische, auch der deutsche Nationalismus konstruierte eben seine Kontinuitäten. Dann gab es noch die Niederaltaicher Annalen mit der Erwähnung der „Civitas Deserta“, also der Öden Burg aus dem Jahre 1065 und eine Fülle von Belegen für den Ödenburg - Namen aus dem 13. Jahrhundert. Diese, vor allem österreichische Chroniken, tat Mollay samt und sonders damit ab, dass sie sich zwar auf das 13. Jahrhundert bezogen, aber erst später verfasst wurden.
Die Quellenlage widersprach also der Ansicht der ungarischen Historiker, dass Ödenburg - Sopron zunächst eine magyarische Stadt war, die erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts durch die Ansiedlung deutscher hospites, also Gäste, allmählich zu einer deutschen Stadt wurde. Die Urkunde, in der Odinburch zum Jahre 859 erwähnt wird, ist nicht im Original, aber in vier Abschriften aus dem Mittelalter erhalten.
König Ludwig der Deutsche schenkte mit dieser Urkunde dem Chorbischof Alberich von Passau zehn Mansen Land. Die Urkunde wurde am 24. September 859 in Ostermieting nordwestlich von Salzburg ausgestellt. Sie sei hier im vollen Wortlaut widergegeben, da sie immer wieder verkürzt und verzerrend zitiert wird:
„... venerabilis episcopus noster Hardvuicus veniens in procerum nostrum presentiam postulavit serenitatem nostram, ut de rebus proprietatis nostre X mansos Albrico fideli nostro suoque Choriepiscopo concississemus consistentes inter Raba et Chuomberch. Cuius peticioni ob amorem et servitium suum libenti animo assensum prebentes dedimus ei predictos mansos X ad Nuzpach cum edificiis desuper positis et campis et pratis pascuis silvis aquis aquarumve decursibus in prescriptis X mansis, qui coniacent intra alode Amalgeri et Vualtiloni et at Odinburch atque ad loca, ubi montana incipiunt extolli, et sic in communem silvam, ea videlicet ratione et iure et dominationem prescripti Albrici choriepiscopi tradimus atque transfundimus ...“
Die Urkunde wurde von Heberhard, dem „Notar“ Ludwigs des Deutschen, der von 859 bis 874 die königliche Kanzlei führte, ausgestellt. Die Schenkung wird zunächst abgegrenzt durch die Lagebezeichnung „zwischen Raba und Chumberch“, dann genauer bestimmt „am Nussbach“, zwischen den Besitzungen des Amalger und des Waltilo, bis Odinburch und zu jenem Ort, wo die Ebene in das Gebirge übergeht. Eine sehr genaue, zunächst groß- und dann auch kleinräumige Abgrenzung.
Karl Töpler, Stadtoberphydicus von Ödenburg. hielt am 11. August 1847 am Kongress der Ungarischen Ärzte und Naturforscher in Ödenburg einen Vortrag, in dem er erstmals die in der Urkunde erwähnte Odinburch auf Ödenburg bezog. Töpler lokalisierte die Schenkung im Gebiet zwischen dem Flusse Raab und dem Ort Kumberg bei Graz (Chuomberch in der Urkunde). Den „Nuzpach“ beachtete er nicht weiter.
Mollay ging es nun darum, zu zeigen, dass mit Odinburch keinesfalls Ödenburg gemeint sein konnte. Zunächst zweifelt er die Echtheit an, mit dem Hinweis auf andere Passauer Fälschungen, die ja tatsächlich nachgewiesen sind. Die Odinburch betreffende Urkunde ist allerdings nie in Zweifel gezogen worden. Hier handelt Mollay nach dem Motto „irgend etwas wird schon hängen bleiben...“. Selbst die quellenkritische Ausgabe in der Monumenta Germania stellt er „aus sprachwissenschaftlicher Sicht“ in Frage. Aus der großen Entfernung zwischen dem Ort Kumberg und der Raab von über 100 Kilometern schloss Mollay, dass da etwas nicht stimmen könne. „Eine so überweit angespannte Grenzangabe wäre ein Unding ... denn es ist ganz unmöglich, dass die Grenzpunkte eines Besitzes von 10 Mansen auf einer Entfernung von 50 - 100 km voneinander abgesteckt worden waren ... Daraus folgt, dass die bisher für evident gehaltene Identifizierung von Odinburch mit Ödenburg - Sopron nicht bestehen kann, d.h. dass sich die Ödenburch - Angabe der Urkunde von 859 nicht auf Ödenburg - Sopron bezieht“. (S.64)
Natürlich musste er eine Alternative präsentieren, und dabei vollbrachte er ein paar bemerkenswerte Kunststücke. Kumberg zog er nicht in Zweifel, das passte durchaus in sein Konzept, obwohl die Forschung inzwischen (Ladislaus Veszelka im Jahre 1934 und andere) die Gleichsetzung von Khuomberch mit dem steirischen Ort verworfen hatte. Mollay ging es um Ödenburg. Zunächst lässt er sich breit aus über die verschiedenen, zunächst falschen Datierungen der Urkunde und über die - eher harmlosen und unwissenschaftlichen - Spekulationen, die sich daran knüpften, etwa in einem populären Reiseführer der 1880er Jahre. Tatsächlich wurde die Urkunde 1889 schon richtig datiert. Die ältere Ansicht, dass mit Nuzpach Nußdorf bei Wien gemeint sei, war zu dieser Zeit schon aufgegeben. Dann „findet“ Mollay Odinburch zwischen den Orten Raaba und Kumberg am Rande des Grazer Feldes. Einen Nussbach findet er ebenfalls, der passt zwar nicht ganz zwischen Raaba und Kumberg, aber da hat er einen probaten Trick, er beruft sich auf die künftige Forschung. Und schließlich findet er sogar einen Acker mit Namen Oedenburg in einer Urkunde von 1404 (am Höhepunkt der spätmittelalterlichen Wüstungsperiode, wo es zahlreiche „öde“ Orte gab), dummerweise aber weit weg, bei Kapfenberg. Ein „Ödenperg“ liegt zwar näher, aber auch der passt nicht ganz ...Aber das ist ohnedies alles nicht so wichtig, denn: „Für uns ist die Erkenntnis, dass sich Odinburch der Urkunde Ludwigs des Deutschen aus 859 nicht auf Ödenburg - Sopron bezieht von Belang“ (S.69)
Autor: Michael Floiger