Mit diesen wenigen Andeutungen zur Komplexität der Vorgeschichte und der Geschichte der Volksabstimmung soll abschließend kurz auf die Zwischenkriegszeit und die Vertreibung eingegangen werden. Die Zwischenkriegszeit brachte den wirtschaftlichen Niedergang der auf drei Seiten isolierten Stadt. „Das sterbende Ödenburg“ wurde die Stadt auf österreichischer Seite, nicht ohne ein bisschen Schadenfreude – genannt. Versuche, eine Lösung etwa in der Form einer Zollbefreiung oder einer Zollfreizone zu finden, wurden in Budapest kategorisch abgelehnt. Nur der Schmuggel blühte.

 

Die Stimmung war von Verzweiflung geprägt. Je trister die wirtschaftliche Situation, desto härter wurde der Magyarisierungsdruck, mit Bürgermeister Thurner, der Marzer Abstammung war, an der Spitze. So wie man auf burgenländischer Seite sich noch nicht mit dem Verlust der Stadt abgefunden hatte, so wurde auf ungarischer Seite, etwa durch Ministerpräsident Bethlen anlässlich der Einweihung des „Treuetores“, immer wieder die Hoffnung auf eine Rückkehr des Burgenlandes geweckt. Den Druck bekamen all jene zu spüren, die gehofft hatten, man könnte deutsche Autonomie und Zugehörigkeit zu Ungarn miteinander verbinden. So etwa Huber, der auch physische Übergriffe erdulden musste, oder Scholz, der im ungarndeutschen Volksbildungsverein wirkte. Sie wurden als „Vaterlandsverräter“ diffamiert.

 

Noch wenig erforscht ist die Entwicklung der deutschen Minderheit in Ödenburg und Umgebung in der Zwischenkriegszeit, besonders in der Zeit ab 1933, als es erstmals Versuche von Seiten Deutschlands gab, sich der Deutschen in Ungarn anzunehmen. Norbert Spannenberger hat in einem faszinierenden Buch (Der Volksbund der Deutschen in Ungarn 1938–1944 unter Horthy und Hitler. Oldenburg-Verlag, München 2002) die Situation der Ungarndeutschen in dieser Zeit untersucht. Sie könnte als Ausgangspunkt für eine regionalhistorische Studie dienen. Spannenberger revidiert die Sicht Loránt Tilsovskys (Ungarn und die deutsche Volksgruppenpolitik 1938–1945. Akadémiai Kiado, Budapest 1981), der im Volksbund eine ausschließlich nationalsozialistische, von Hitlerdeutschland gelenkte Organisation sah. Spannenberger zeigt die vergeblichen Versuche der Ungarndeutschen, wenigstens ein Mindestmaß an Spielraum in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht zu gewinnen. Das Echo, das der Volksbund in Ödenburg und in den Dörfern fand, war jedenfalls groß. Es blieb ja auch keine andere Wahl. Vor allem nach dem Wiener Schiedsspruch erlebte die deutsche Volksgruppe für ganz kurze Zeit eine unglaubliche Aufbruchsstimmung, die aber schon bald durch die ersten Kriegsverluste gedämpft wurde. Auch in Ödenburg und in den Dörfern rückten viele zuerst freiwillig, später auch gezwungen, zur Waffen-SS ein.

 

Die Vertreibung der Ödenburger, eines Drittels der Bevölkerung, ist mustergültig erforscht. Die deutsschsprachige Version des Buches von András Krisch (Die Vertreibung der Deutschen aus Ödenburg 1946. Sopron 2007; mit den Vertreibungslisten auf einer CD) sei jedem Burgenländer (und nicht nur diesen) empfohlen. Es ist eine großartige, durch Quellenarbeit und Objektivität, aber auch durch emotionale Anteilnahme geprägte Arbeit. Noch nicht aufgearbeitet ist die Vertreibung der Deutschen aus den Dörfern.