(46)Quelle/Hinweis:
Mit dem Druck der Dissertation des gebürtigen Ödenburgers und Germanisten Scabolcz Boronkai liegt uns seit einigen Jahren ein hervorragender Überblick über das literarische Geschehen im Ödenburg des 19. Jahrhunderts vor.
Literatur: Boronkai, Szabolcz: Bedeutungsverlust und Identitätskrise, a.a.O
Schneider, István, Burgenländische Heimatblätter 2/2006
Im 19. Jahrhundert vollzog sich zunächst allmählich, gegen Jahrhundertende immer rascher der Prozess, der aus der deutschen Bürgerstadt eine magyarisch dominierte Stadt machte. Ein erster Magyarisierungsschub erfolgte in der Zeit des Neoabsolutismus nach der gescheiterten Revolution (Bach-Ära). Damals wurde Ödenburg zum Mittelpunkt eines der fünf neu geschaffenen Verwaltungsdistrikte und die Hauptstadt der westungarischen Komitate Ödenburg, Wieselburg, Raab, Eisenburg, Vesprem, Zala, Somogy und Baranya. Der Distrikts-Obergespan hatte seinen Sitz in der Stadt.

Zahlreiche neue Ämter machten den Zuzug von vielen Beamten erforderlich. Diese rekrutierten sich in Ungarn ja bekanntlich aus der Gentry, also aus dem verarmten, aber stolzen und nationalbewussten Kleinadel. Nach dem Ausgleich von 1867 wurde aus Ödenburg zwar wieder eine ganz normale Komitatshauptstadt, aber nicht alle ansässig gewordenen Beamtenfamilien zogen ab. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges blieb Ödenburg allerdings überwiegend deutschsprachig.

Die kulturelle Bedeutung der Stadt, ihrer Schulen, des Theaters, der Presse, des Musiklebens war enorm und kann nicht überschätzt werden, auch wenn sie von „Bedeutungsverlust und Identitätskrise“ (so der Titel eines sehr empfehlenswerten Buches des ungarischen Germanisten Szabolcs Boronkai, auf das sich die folgenden Ausführungen zum Teil stützen) des einstmals führenden deutschen Bürgertums überschattet wurde.

Ödenburg war eine Schulstadt und wurde es im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer mehr. 1886 gab es 13 Volksschulen mit 2700 Schülern. Der Bildungsstand war hoch. Im Jahre 1900 konnten fast 92% der Bevölkerung lesen und schreiben.

Es gab in Ödenburg seit dem 16. bzw. seit dem 17. Jahrhundert zwei überaus bedeutende und für ganz Westungarn wichtige Gymnasien: das katholische Benediktinergymnasium und das Evangelische Lyzeum. Das katholische Gymnasium ging aus dem Jesuitengymnasium hervor. 1773, nach der Auflösung des Jesuitenordens, wurde es von den Benediktinern übernommen. Bis 1844 war Latein die Unterrichtssprache, von 1844 bis 1850 Ungarisch, 1850 bis 1962 Deutsch, dann wieder Ungarisch. Aus diesem Gymnasium ging ein beträchtlicher Teil der katholischen Führungsschicht Westungarns hervor. Auch viele Adelsfamilien schickten ihre Söhne in diese Schule.

Das Lyzeum gehörte im noch höheren Maße zu den hervorragenden und bedeutendsten Schulen des gesamten Landes, neben den evangelischen Gymnasien von Preßburg, Eperies/Preschau, Leutschau und Käsmark). Es war die Ausbildungsstätte der evangelisch-lutherischen Funktionsträger, eine Stätte, an der hervorragende Wissenschaftler und Dichter als Lehrer wirkten. Es wurde aber zunehmend auch – nach einer langen Phase der besonders fruchtbaren Koexistenz – zum Ort heftigster Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Magyaren. Die Söhne evangelischer magyarischer Kleinadelsfamilien machten schon 1848 den Versuch, die Schule zu einem Hort des Magyarentums zu formen. Einige Jahrzehnte später sollte dies auch gelingen. Das Lyzeum bildete auch evangelische Theologen aus. Ab 1828 fand die ungarische Unterrichtssprache in einigen Gegenständen Eingang (Geschichte, Erdkunde, ungarische Literatur und Rhetorik). Ab 1842 wurden auch die Matrikel auf Ungarisch geführt. 1790 gründete der Schüler Johann (Janós) Kís eine „Ungarische Gesellschaft“, der erst 1803, als Reaktion darauf, eine „Deutsche Gesellschaft“ und 1840 eine „Slowakische Gesellschaft“ folgten. Am Lyzeum wuchs neben der humanistischen zweisprachigen Gesinnung, wie sie die berühmtesten Lehrer, Leopold Petz und auch Kís, der ja deutscher Prediger der evangelischen Stadtgemeinde war, der magyarische Nationalismus heran. Bezeichnend dafür war das „Deákúti Vármegye“ (Komitat am Studentenbrunnen), eine Schülervereinigung, die geheimbündlerische Elemente enthielt. Am Studentenbrunnen im Wald trafen sich magyarisch-nationalistisch gesinnte Schüler zu Fackelzügen und Liederabenden.

Im Revolutionsjahr 1848 kam diese Gesinnung in der politisch eher behäbigen, ruhigen, habsburgtreuen Stadt zum Ausbruch. Der Verein des „Studentenkomitates“ wurde 1849 aufgelöst, nach dem Ausgleich neu gegründet und bestand bis 1883.