ludwig01Ludwig, geboren in Wandorf, jetzt wohnhaft in Aglasterhausen
 
Ich wurde mit dem 1. Transport am 16. April 1946 ausgewiesen, zu dem Zeitpunkt war ich 16 Jahre alt. Es war ein schöner Tag mit strahlendem Wetter, im Dorf herrschte großer Trubel. Einen Tag vorher hing Im Notariat die Liste der auszuweisenden Einwohner aus. Jeder ging dort hin um zu sehen, ob er auch auf der Liste stand. Wer sich dort fand, musste das erlaubte Gepäck zusammenpacken und am nächsten Tag vor dem Haus damit auf Abholung warten.
 
Es wurde amtlicherseits in den Häusern erfasst, was vorhanden war, es durfte dann nichts mehr weggenommen werden. Die Häuser wurden versperrt, wir mussten vor der Türe warten.

Irgendwann kam ein Pferdefuhrwerk um uns abzuholen. Wir jungen Menschen trieben uns im Dorf herum und haben uns die Musikinstrumente besorgt, die wir auftreiben konnten. Wir sind dann neben dem Fuhrwerk hergelaufen, über die Weingärten (Greut), die Obstbäume blühten in diesem Jahr besonders schön. Wir haben das Fuhrwerk so gut wir konnten, mit Musik begleitet. Wir jungen Burschen haben diese Vertreibung nicht wirklich ernst genommen so wie unsere Eltern, sondern hielten es eher für ein Abenteuer.

In Agendorf wurden wir durch das Dorf gefahren, der Zug stand am oberen Ende Richtung Brennberg. Dort hat ein „Telepes“ einem Mann die schönen Sonntagsstiefel weggenommen – die ungarischen Wachleute haben aber eingegriffen und der „Telepes“ musste die Stiefel wieder zurückgeben.

Wir wurden dann von dort zum Agendorfer Bahnhof gefahren, das war schon gegen Abend. Dort hat ein ungarischer Offizier eine Rede gehalten, wir sollen nicht in Groll scheiden......er hat die Sache so dargestellt, dass er nichts dafür kann. Wir sollten dann die ungarische Hymne singen und wir haben das tatsächlich gemacht.

Zur Hälfte war der Zug mit Agendorfern beladen, ansonsten Wandorfer. Es war schon ein Transport mit Agendorfer vorher abgefahren. Wir waren die ersten aus Wandorf, die ausgewiesen wurden. Als wir schon zur Abfahrt bereit waren, kamen meine beiden Cousinen, elf und sechs Jahre alt – beide hielten sich an der Hand und haben uns hinterher gewunken bis der Zug weg war, die beiden Cousinen wurden nicht ausgewiesen und durften zuhause bleiben. Ich habe sie erst viele Jahre später wiedergesehen.

Der Zug kam nicht sehr weit, in Niederösterreich haben uns die Russen die Lokomotive weggenommen und wir konnten nicht weiterfahren. Wir haben viel Unfug getrieben, die Eltern haben Feuer gemacht und Suppe gekocht. Wir standen dort einen halben Tag, da kam plötzlich einer daher gelaufen – es war der Urgroßvater. Die Urgroßmutter sagte: Herrje, ich dachte, ich hab den los, jetzt kommt der auch noch. Der Urgroßvater war bei der Einladung in den Zug nicht da und ist zu Fuß nachgelaufen.

Wir haben dann eine neue Lok bekommen und sind weitergefahren. Beim Überschreiten der deutschen Grenze mussten alle aussteigen und wurden entlaust. Ich erinnere mich, dass unterwegs Leute aus einem anderen Waggon aussteigen mussten und dort blieben.

Nach ca. 6 Tagen kamen wir dann in Neckarzimmern an. Dort war ein Gipswerk. Wir mussten uns in verwandtschaftlichen Gruppen aufstellen und wurden so sortiert. Wir waren ca. 60 Personen, alle irgendwie verwandt miteinander. Wir waren ein kleinerer Haufen als andere. Der Flüchtlingsreferent hat uns aus diesem Grund ausgesucht, er war von Aglasterhausen und hat uns mit nach Aglasterhausen genommen. Der komplette Transport war überwiegend evangelisch. In Aglasterhausen gab es wenig Katholiken. Wir wurden auf einen Laster verladen, ein Mann aus Aglasterhausen musste diesen Laster kostenlos fahren und war deshalb wütend. Wir mussten mit dem Laster auf die Fähre (Hassmersheim) fahren, aber das Fuhrwerk war so schwer, dass die Fähre überladen war. Wir hatten Angst, dass wir untergehen könnten, einige haben sich schon vorm Leben verabschiedet aus Angst. Der Fahrer des Lasters ist sehr ungestüm gefahren, wir mussten uns auf der Ladefläche festhalten. An der Ausfahrt Daudenzell nahm er die Kurve sehr eng, dabei fiel ein Mann, der auf einer Kiste saß, mitsamt der Kiste vom Laster auf die Strasse. Er wurde ins Krankenhaus gebracht, verstarb dort aber. Das war das erste Todesopfer unter uns.

In Aglasterhausen angekommen wurden wir in die Turnhalle einquartiert. Vor uns waren auch schon Flüchtlinge da, die auf Stroh gelegen sind. Auf dieses Stroh sollten nun wir liegen – das war aber schon sehr zusammengelegen. Wir gingen los, um Stroh zu besorgen, konnten aber keines bekommen. Nach ca. 1-2 Wochen kam ein Ehepaar aus Reichartshausen und suchten Hilfe für die Landwirtschaft. Deren Sohn waren im Krieg, mein Bruder und ich haben uns gemeldet und sind dann von der Turnhalle Aglasterhausen nach Reichartshausen gelaufen (täglich) um dort die Arbeit zu verrichten. Es waren sehr nette Leute, uns ging es gut dort – die Leute wollten uns mit der ganzen Familie aufnehmen, wollten uns auf dem Hof eine Wohnung geben. Das Dorf Reichartshausen gehörte aber zum Bezirk Sinsheim, da aber Sinsheim keinen Flüchtling mehr aufnehmen durfte, konnten wir dort nicht hin. Damals waren wir traurig drüber, später sahen wir aber, dass es von Vorteil war, dass wir nicht dorthin gekommen sind.

Wir haben dann in Aglasterhausen ein Zimmer bekommen, in dem wir zu fünft wohnten. Wir haben in einer Schmiedewerkstatt gearbeitet und in einer Landwirtschaft. Ich bin mit dem Pferdefuhrwerk gefahren und habe verschiedene Arbeiten verrichtet. Das ging ca. 1 Jahr lang, danach habe ich festgestellt, das ich nicht ewig Knecht bleiben will und habe die Möglichkeit bekommen, eine Lehre als Wagner zu machen. Man hatte damals keine große Wahl und ich war froh um die Chance. Nach drei Jahren Lehrzeit habe ich die Gesellenprüfung abgelegt.