50 Jahre Wandorfer Kiritog in Schwäbisch Gmünd
Ein Streifzug durch fünf Jahrzehnte
 
Zusammenstellung anlässlich der Feierlichkeiten 2002 von Alfred Schwenk
 

Der Beginn

Im Jahre 1952 beschlossen drei mutige Männer, Andreas Schneider, Georg Fürst und Andreas Huber, in Schwäbisch Gmünd den Wandorfer Kiritog zu veranstalten. Ermutigt dazu wurden sie durch das erste große Treffenin Sennfeld im Odenwald, wo zwei Jahre vorher der erste Kritog in der neuen Heimat abgehalten wurde. Es war ein großartiges Fest mit Kirchgang, Festumzug und mit einer in Wandorfer Tracht auftretender Burschgruppe. Die Gemeinde Sennfeld stiftete dazu ein prachtvolles Feuerwerk.

Dieser Rahmen in dörflicher Umgebung war sehr schön; er konnte aber auf Schwäbisch Gmünd nicht übertragen werden. Also musste eine neue Konzeption her. Obwohl niemand wusste, ob es nur eine einmalige Angelegenheit sein würde, machte man gleich Nägel mit Köpfen. Neben der Wandorfer Blaskapelle – Musikanten die früher bei den Gritsch`n und bei den Simmerln spielten – wurde eine Tanzgruppe zusammengestellt. Sieben Paare in Wandorfer Tracht bildeten die Burschgruppe, die – wie daheim – mit Tanzmeister und Kellner auftraten.

Um dem großen Stadtgartensaal eine heimatliche Atmosphäre zu geben, ließen die Veranstalter von einem Plakatmaler ein Bild vom Schulgebäude mit Betsaal und Glockenturm der evangelischen Kirchengemeinde Wandorf malen. Von diesem Gebäude weg führte daheim der Festzug zur aufgestellten Hütt’n. Über diesem Bild angebracht wurde ein großes Transparent mit der Überschrift „wir grüßen die Heimat“. Das Bild hängt heute noch über der Bühne. Die große Frage für die Veranstalter war: „wird es gelingen, dieses Traditionsfest vom Dorfplatz in eine Festhalle zu verlagern? Und wie werden die Wandorfer dies annehmen?“

Um es vorweg zu nehmen: es wurde ein voller Erfolg! Nach dem Festgottesdienst in der Augustinuskirche – die Predigt hielt Pfarrer Hammel aus Agendorf – trafen sich rund 900 Leute im großen Stadtgartensaal. Nicht nur aus Schwäbisch Gmünd und Umgebung, wo allein über 1000 Personen nach der Vertreibung im Jahre 1946 eine Bleibe gefunden haben, sondern auch aus den Kreisen Waiblingen, Esslingen, Mosbach und Buchen kamen sie angereist, per Fahrrad, per Bus und per Bahn. Der Stadtgartensaal war voll besetzt.

Die Veranstalter waren damit die große Sorge los, wie sie die anfallenden Kosten abdecken können. DM 1,-- Eintritt pro Person erscheint heute sehr wenig; wenn man aber bedenkt, dass dieser Betrag damals einem Stundenlohn entsprach, erscheint dies schon in einem ganz anderen Licht.

Weil nach Abzug der Kosten noch ein kleiner Reinerlös übrig blieb, bekamen die Mitglieder der Tanzgruppe, die selbstverständlich auch ihr Eintrittsgeld bezahlt hatten, im Rahmen einer kleinen Nachfeier ein Essen mit Getränk spendiert. Sozusagen als Teilrückvergütung für den eigenen Aufwand.

Die Organisation

Ermuntert durch diesen großen Erfolg beschloss man, dieses Treffen zu wiederholen. Und so ging es von Jahr zu Jahr. Erleichtert wurde diese Entwicklung durch die im Jahre 1950 gegründete Landsmannschaft der Ungarndeutschen. Der Kreisverband Schwäbisch Gmünd hatte eine Volkstanzgruppe, der sich viele Wandorfer Burschen und Mädchen anschlossen.

Unter der Leitung des unvergessenen Anton Reppmann, welcher viele Jahre als Kreisvorsitzender, Dirigent und Harmonika-Spieler wirkte, entwickelte sich die Tanz- und Gesanggruppe zu einem festen Bestandteil im kulturellen Leben der Stadt, und darüber hinaus. Auftritte bei Weinlesefesten, Sylvester- und Faschingsveranstaltungen sowie bei den Schwabenbällen des Landesverbandes der UDL waren die Folge.

Aus dieser großen Formation wurden dann jedes Jahr die Tanzpaare zusammengestellt, die als Burschengruppe das Programm des Kiritogs gestalteten. Eine finanzielle Vergütung für die Akteure gab es nicht. Der erwirtschaftete Überschuss wurde an die Kasse des Kreisverbandes abgeführt. Damit war auch die finanzielle Frage gelöst und die Weichen richtig gestellt. Erst viele Jahre später wurde ein eigener Kassenbestand angelegt, damit die sich abzeichnenden und geplanten Hilfsaktionen abgewickelt werden konnten.

Die Musik

Etwas problematischer war aber weiter die Sache mit der Blasmusik. Die Lösung mit der Wandorfer Kapelle war nicht mehr praktikabel, da die Musikanten sehr verstreut wohnten, z. T. im Schwarzwald und Odenwald. Daraufhin hat unser Landsmann, Karl Böhm, der in Schwäbisch Gmünd wohnte und musizierte, eine Kapelle zusammengestellt, indem er sich die Musiker aus den verschiedenen Vereinskapellen der Umgebung holte. Dabei stellt sich heraus, dass dies größtenteils Musikanten aus dem ehemaligen k.u.k.-Bereich waren. Nach den tragischen Ereignissen des ungarischen Volksaufstandes 1956 kamen auch Musiker aus dem ungarischen Teil des Burgenlandes, die hier Anschluss suchten und fanden. Einer von ihnen war Robert Payer. Ermutigt und unterstützt von Landsleuten, die seine Freunde wurden, gründete er 1960 eine Blaskapelle, die sich fortan „Burgenlandkapelle“ nannte, und spielt nunmehr schon seit über 40 Jahren, Jahr für Jahr auf unserem Traditionsfest.

Robert Payer und seine Burgenlandkapelle wurden in dieser Zeit zu einem tragenden Pfeiler unserer Veranstaltung. Die großen Erfolge mit über 100 Eigenkompositionen und seine Arrangements im wienerisch/böhmischen Stil brachten ihn und seine Kapelle in die Spitzenklasse der Blasmusik Die Kompositionen „Wenn der Wein blüht“, „kleine Anuschka“, „in der Weinschenke“ und viele andere Erfolgsstücke sind seit Jahren aus Rundfunksendungen und bei vielen Fernsehauftritten zu hören, und darüber hinaus im Repertoire vieler Blasorchester zu finden. Davon profitierten auch wir Wandorfer, indem wir jedes Jahr immer mehr Anhänger und Freunde der Burgenlandkapelle als unsere Gäste begrüßen konnten.

Diese Fakten sind den meisten unserer Landsleute bekannt. Mit Bewunderung und großem Interesse haben wir diesen Aufstieg der Kapelle verfolgt und dabei mit Genugtuung feststellen dürfen: vieles hat sich im Laufe dieser Zeit verändert, Robert Payer ist geblieben wer er ist – einer von uns!

Aufgaben und Ziele

Wir, die wir einst aus unserer Heimat vertrieben wurden, sind oft schon als Brückenbauer und Dolmetscher für Süd- und Osteuropa bezeichnet worden, weil wir von Anfang die Kontakte zur verlorenen Heimat aufrecht erhalten und über Jahre hinweg weiter gepflegt haben. Neben den Verbindungen zu Verwandten und Bekannten waren und wurden immer mehr die Kontakte zu den kirchlichen Stellen und auch zu kommunalen Einrichtungen geknüpft. Es würde zu weit führen, dies im Einzelnen aufzuführen, was aber uns und Wandorf betrifft soll in Kurzform in der nachstehenden Zeittafel erwähnt werden:

 

1957 Beginn der jährlichen Busfahrten nach Mörbisch am Neusiedlersee, und später als dies möglich war, auch nach Wandorf. Das Dorf am „eisernen Vorhang“ wird zum Mekka für Wandorfer, die das Burgenland besuchen, um in der Nähe ihres Heimatdorfes zu sein.
1962 Aufruf zu einer Spendenaktion für die evangelische Kirchengemeinde in Wandorf, ausgelöst durch einen Brief von Pfarrer Foltin vom November 1962. Das Ergebnis dieser Aktion war sehr erfreulich, und der Betrag wurde nach vielen Hindernissen zum Teil legal/halblegal/illegal nach Wandorf geleitet.
1966 Radio Wien und der Süddeutsche Rundfunk berichten ausführlich über den Wandorfer Kiritog in Schwäbisch Gmünd. Eine Sendung wurde am 11.9.1966 in Österreich und am 12.9.1966 in Baden Württemberg ausgestrahlt.
1970 Das Zeltfest vom 11.-14. September erregt großes Aufsehen. Das Motto: 10 Jahre Burgenlandkapelle, 20 Jahre UDL Kreisverband Schwäbisch Gmünd und Wandorfer Kiritog zieht viele Besucher an. Vier Tage lang wird gefeiert. Neben der Burgenlandkapelle und der Volkstanzgruppe wirken mit: Bauernkapelle St. Margarethen, Burgenland- Jodelclub Bärgmorge Zürich; Geschwister Bender München; und die Jungmusiker „Die Wendelsteiner“.
Zum 30jährigen Jubiläum kommen wieder viele Landsleute aus nah und fern. Unter ihnen auch burgenländische Mundartdichter Michael Andreas Lang, der zur Freude aller, aus seinem Buch einige Gedichte vorliest.
1987 Jubiläums-Busfahrt „30 Jahre Besuchsfahrt“ von Schwäbisch Gmünd nach Mörbisch im Burgenland. Aus diesem Anlass gibt die Gemeinde Mörbisch einen Empfang, verbunden mit Ehrungen. Der Männergesangsverein wird zum Jubiläumsfest nach Schwäbisch Gmünd eingeladen.
1987 Das Jubiläumsfest „100 Jahre Wandorfer Kiritog“. Zusammen mit Pfarrer Foltin und rund 100 Besuchern aus Wandorf feierten wir dieses „Fest der Feste“ im neu erbauten Stadtgarten. Der ergreifende Festgottesdienst in der überfüllten Augustinuskirche, der lange und imposante Festzug sowie das Jubiläumsfest selbst, wird bei den rund 1.400 Besuchern und allen Beteiligten unvergessen bleiben. Mitgewirkt haben auch der Männergesangsverein Mörbisch, viele Trachtenträger und die Burgenlandkapelle.
1991 Ein Traum wird wahr. Nach dem Fall des „eisernen Vorhangs“ gibt Robert Payer mit seinen Musikanten im Sportzentrum Sopron/Ödenburg ein Benefizkonzert. Das Konzert soll ein Dank sein an die Bevölkerung beiderseits der österreichisch-ungarischen Grenze. Diese Menschen haben im „Wendejahr“ 1989 den vielen Flüchtlingen geholfen, die – aus Deutschland kommend – über Ungarn und Österreich nach Deutschland wollten. Unter den vielen Besuchern aus dem naheligenden Burgenland erlebt auch Michael A. Lang, der große Sohn Mörbischs, diese schönen Stunden. Das andächtig lauschende Publikum dankt den Akteuren mit viel Beifall und mit Tränen in den Augen. Es waren Tränen der Freude.
1991 Ein Wunsch wird Wirklichkeit. Das Heimatbuch „Wandorf“ von Hans Degendorfer und Michael Ziegler erscheint. Es schildert beeindruckend und gekonnt die Geschichte und Entwicklung unseres Heimatdorfes. Herausgegeben und vertrieben vom Festausschuss Wandorfer Kiritog findet es großen Anklang unter den Lesern und ist bald nach Erscheinen vergriffen.
1993 In Wandorf werden die Gedenksteine für die Opfer des Krieges eingeweiht. Musikalisch umrahmt wird die Feierstunde von der Stadtkapelle Sopron. Anschließend spielt die zufällig im Burgenland gastierende Burgenlandkapelle mit Robert Payer in einem provisorisch erstellten Zelt ganz groß auf. Zur Freude der vielen Zuhörer, die zum Teil aus Schattendorf und Mörbisch im Burgenland gekommen sind.
1994 Besuch aus Ungarn. Die Volkstanzgruppe Sopron/Ödenburg kommt, begleitet von eigenen Musikanten, um als unsere Gäste das Kiritog-Programm mitzugestalten. Jetzt darf zusammenwachsen, was zusammengehört. Als Sondereinlage tanzt die Gruppe gekonnt und temperamentvoll auf dem Marktplatz vor dem Schwäbisch Gmünder Rathaus.
1996 Am 26.5.1996 wird zur Erinnerung an das Schicksalsjahr 1946 in Wandorf die Gedenktafel „50 Jahre Vertreibung“ feierlich eingeweiht. Initiator dieser Feierstunde ist Karl Fürst, wohnhaft in Mosbach. Als Organisator wirkt wie schon oft Matthias Gritsch, der heute noch in Wandorf wohnt, und für immer ein hilfsbereiter Ansprechpartner ist.
1998 Eine Lautsprecheranlage wird als Spende des Festausschusses an Matthias Gritsch übergeben. Sie soll bei besonderen Anlässen für alle Bürger zur Verfügung stehen und eingesetzt werden.
1998 Aktion „Hilfe für die Kinder in Wandorf“. Bereits am 27.11.1998 können die Sachspenden mit einem Lastwagen und einem Transporter nach Ungarn geliefert und an das Ehepaar Gritsch übergeben werden. Der Erlös aus der durchgeführten Tombola ist für den dortigen Kindergarten und für die Schule bestimmt.
2000 Zwei Sonderbusse fahren zum Kiritog nach Wandorf, um mit dem dortigen Freundeskreis Wandorf zu feiern. Mit von der Partie ist die Hobbykapelle „Die Gschlampadn“, die ebenfalls zum Tanz aufspielen.
2002 Wieder fahren zwei Sonderbusse vom 6.9. – 9.9.2002 nach Wandorf. Auf Einladung des dortigen Wandorfer Freundeskreises werden Alt- und Neubürger den Kiritog in Wandorf feiern. Und die „Die Gschlampadn“ sind wieder dabei.
2002 Vom 13.9. – 16.9.2002 erwarten wir Gäste aus Sopron/Ödenburg. Eine Delegation aus der Stadtverwaltung, deutsche Selbstverwaltung und dem dortigen Wandorfer Freundeskreis wird unser Jubiläumsfest „50 Jahre Wandorfer Kiritog“ in Schwäbisch Gmünd und Waldstetten besuchen, und dabei unsere neue Heimatstadt und Umgebung kennenlernen.

 

Frage: Wo ist Heimat?

Heimat ist dort, wo man sich wohlfühlt

Wir haben hier eine neue Heimat gefunden und wir fühlen uns hier wohl.

 

 

 

Es grüßt Euch Euer

Alfred Schwenk