Diese Feier steht mit der Veranstaltung vom 12. Mai 2006 in Harkau in einem unmittelbaren Zusammenhang. Der schlechte Besuch in Harkau hat nämlich damit zu tun, dass die meisten Betroffenen nunmehr ein Alter erreicht haben, in dem längere Reisen sehr beschwerlich sind. Insofern war die Veranstaltung in Wetter eine Art Ersatzfeier vor Ort, bei der die große Anreise entfiel. Hier zeigte sich auch, dass das Interesse an der alten Heimat immer noch sehr groß ist, denn die Stadthalle war bis auf den letzten Platz gefüllt.

 

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Die Stadt Wetter hatte sich ebenfalls sehr große Mühe gemacht und alle Vertriebenen aus Harkau persönlich eingeladen, von denen eine aktuelle postalische Anschrift zu ermitteln war. Von den ca. 200 direkt eingeladenen Personen waren ca. 100 gekommen und viele davon hatten ihre Angehörigen und Kinder mitgebracht, die nach der Vertreibung in Deutschland geboren wurden.

Musikalisch umrahmt wurde die Feier von der Stadtkapelle Wetter sowie dem Männergesangverein Orpheus Wetter, der übrigens mit Kurt Latzko einen Dirigenten hat, der aus Harkau stammt und ein direkt Betroffener der Vertreibung ist.

Stadtverordnetenvorsteher Dr. Wolfgang Engelhardt eröffnete die Gedenkstunde mit der Erinnerung an die wechselvolle Geschichte der Ungarndeutschen und hob hervor, wie sehr sich diese in ihrer neuen Heimat integriert haben, wie sie nach dem Krieg wesentlich zum allgemeinen Aufschwung beitrugen und immer noch einen wertvollen Teil der hiesigen Gemeinden darstellen.

Im weiteren Verlauf der Veranstaltung kamen mit dem Bürgermeister der Stadt Wetter, Dieter Rincke, dem Bürgermeister der Marktgemeinde Deutschkreuz, Manfred Kölly, dem Bürgermeister der Gemeinde Reinsdorf, Frank Bornschein und dem Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf, Robert Fischbach, Redner zu Wort, die auf die Bedeutung der Völkerfreundschaft hinwiesen und ein friedliches Miteinander einforderten: Es sei aus dem damals begangenen Unrecht, das vielen Unschuldigen die Heimat genommen und in große persönliche Nöte gestürzt hatte, Lehren zu ziehen - so etwas darf nicht wieder passieren.

Etwas ausführlicher auf die Vertreibung ging Andreas Berger ein. Berger, der aus dem österreichischen Deutschkreuz kommt und eine der treibenden Kräfte für die gute Freundschaft und den regen Austausch zwischen Wetter, Deutschkreuz und dem benachbarten Harkau ist, erinnerte an das Leid der Leute, die damals mit wenigen Habseligkeiten in Viehwaggons verfrachtet und auf eine Reise ins Ungewisse geschickt wurden. Sehr emotionell bat er die Anwesenden ihm zu folgen und sich mit allen Mitteln für den Erhalt der bestehenden Freundschaften einzusetzen - eine Sache, die sich immer lohnt.

Frieda Thumberger, Luise Kolb und Karl Payerl trugen selbst verfasste Gedichte und Texte vor, die nicht nur ihre eigenen persönlichen Empfindungen zum Thema Heimat widerspiegelten.

Höhepunkt war der Auftritt von Helene Haris Payer aus Harkau, die schon bei der Gedenkfeier vor vier Wochen an ihrem Heimatort aktiv gewesen war. Sie hatte gehört, dass in dem Bus der Deutschkreuzer Musikkappelle, die bei dem Stadtfest in Wetter (in das die Gedenkfeier für die Vertriebenen eingebettet war) einige Auftritte hatten, und sich spontan entschlossen, zusammen mit ihren 3 Töchtern die lange Reise nach Wetter mitzumachen.

Gebannt hörte man ihr zu, als sie von den Verhältnissen in Ungarn berichtet, die dort nach der Vertreibung der Deutschstämmigen herrschten. Man habe die Vertriebenen nie vergessen und die Erinnerung an sie immer wach gehalten. Sie nutze als Lehrerin die Möglichkeit, die heranwachsenden Generation in Ungarn mit den Ereignissen von damals vertraut zu machen und darauf hinzuweisen, welches Unrecht geschehen ist. Sie erzählte auch von der Gedenkfeier in Harkau. Diese sei sehr emotional gewesen und beim Verlesen aller 670 Namen der aus Harkau vertriebenen Person habe immer wieder ihre Stimme versagt. Ihre Ausführungen beendete sie mit dem Appell an die Anwesenden, die Erinnerung an die Heimat wach zu halten und diese nach Möglichkeit so oft wie möglich zu besuchen - man sei dort stets herzlich willkommen, die jetzigen Harkauer fühlen sich mit den damaligen verbunden.

Zum Abschluss der offiziellen Teils der Veranstaltung eröffnete der ehrenamtliche Leiter des Stadtarchivs Wetter, Hans Uffe Boerma, eine Fotoausstellung zu den Themen "60 Jahre Wetter" und " 60 Jahre Vertreibung der Harkauer". Boerma, ein pensionierter Lehrer, hatte alle ihm zugängigen Fotos und Dokumente zu diesen Themen zusammengetragen. Vor dem Schaukasten mit den Bildern aus Harkau, die vor dr Vertreibung entstanden sind, bildeten sich dichte Menschentrauben und die alten Harkauer versuchten herauszufinden, wer auf den alten Fotos zu sehen ist. Als einziges Dokument, das direkt mit der Vertreibung zu tun hat, war ein Auszug aus der Schulchronik von Mellnau (einem kleinen Ort nahe Wetter) ausgestellt, der die Ankunft der Vertriebenen beschreibt:

"Am Sonntag, den 19.5.1946, mittags, treffen vom Bahnhof Münchhausen kommend von hiesigen Bauern auf Leiterwagen abgeholt 31 (einunddreißig) ausgewiesene Deutsche aus Ungarn, aus der Gemeinde Harkau bei Ödenburg sind sie, ein. ... Männer, ... Frauen, ... Kinder; davon schulpflichtig 2 Knaben im 6. + 7. Schuljahr. Die wöchentliche Brotration ist im Mai auf 1 Kg (ein Kg) je Person herabgesetzt."

Offensichtlich hat der unbekannte Chronist vergessen, die ursprünglich geplante zahlenmäßige Aufschlüsselung nach Männern, Frauen und Kindern, nachzutragen.

Nach dem Ende der offiziellen Veranstaltung saßen viele der anwesenden Harkauer noch lange zusammen. Es wurden Erinnerungen ausgetauscht und nachgefragt, wer von wem noch etwas weiß. Schließlich trennte man sich mit dem Versprechen, alte Kontakte zu intensivieren oder neue mit Leben zu füllen.

Es bleibt, der Stadt Wetter einen ganz besonderen Dank zu sagen, die nicht nur die große Mühe der Organisation auf sich genommen hatte, sondern ihre Gäste auch noch kostenlos mit Getränken und dem Mittagessen versorgte.


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