Sehr geehrter Herr Bürgermeister István Gaál
Sehr geehrte Herren Geistlichen
der evangelischen - und katholischen Kirche
Meine lieben heimatvertriebenen Agendorfer
Liebe Agendorfer
Liebe Gäste

Lassen Sie mich bitte als Angehöriger einer vertriebenen Familie aus Agendorf, zu Ihnen sprechen.

Wir sind heute zusammengekommen, um gemeinsam eines besonderen Tages zu gedenken.

Heute begehen wir den 60. Jahrestag der Vertreibung der Deutschen Bürger aus ihrer Hei-mat, der Gemeinde Agendorf. Ich denke dieses Ereignis zählt auch in Ungarn zu einem sei-ner schlimmsten Kapitel in der ungarischen Geschichte.

Es war auch eine Folge des schrecklichen, sinnlosen, verlorenen Zweiten Weltkrieges, der von Deutschland ausgegangen war. Wie man heute weiß, drängte nach Kriegsende die damalige ungarische Regierung bei den alliierten Siegermächten darauf, seine deutschen Mitbürger auszusiedeln.

Zu dieser geplanten Deportation hat Ungarn schließlich auch die Zustimmung der Sieger-mächte erhalten. Dies war am 2. August 1945. Am 22. Dezember desselben Jahres wurde in einer Sondersitzung des ungarischen Ministerrates der endgültige Entwurf der Verordnung, über eine Ausweisung der Deutschen in Ungarn formuliert und am 4. Januar 1946 die Aussiedlungsbestimmungen erlassen. Als Gründe zur Aussiedlung wurden folgende Merkmale festgelegt.

  • Zugehörigkeit einer deutschen Waffengattung während des Zweiten Weltkrieges, besonders Angehörige der Waffen-SS-.
  • Mitglied im deutschen Volksbund.
  • Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe allgemein.
  • Bekenntnis zur deutschen Sprache und Kultur.
  • Wer einen deutschen Namen trug oder seinen magyarisierten Namen remagyari-siert hatte.

Bereits am 19. Januar 1946 hat der erste Transport mit so genannten Schwaben aus Buda-örs, einem Vorort von Budapest, Ungarn verlassen. In der Folgezeit wurde die Aussiedlung kontinuierlich in verschiedenen Städten und Gemein-den des Landes fortgesetzt. Bis hin in das Jahr 1948. Hier in Agendorf wurde am Montag, den 15. April 1946 mit der Aussiedlung der Deutschen begonnen. Gestern, fast auf den Tag genau, vor sechzig Jahren. Durch eine Kommission des Komitates Sopron/Ödenburg, die auf Anordnung des ungari-schen Innenministeriums in Budapest, extra für die Ausweisung eingesetzt war, wurden die Namenslisten für die zur Aussiedlung betroffenen Personen von Agendorf erstellt.

Diese Namenlisten wurden hier in der evangelischen Schule und in der Notarkanzlei ausge-hängt. Jeder Bürger war verpflichtet sich zu informieren, wer von den einzelnen Familien zur Aussiedlung vorgesehen war.

Von diesem Schicksal waren hier in Agendorf 1094 Personen betroffen. 80% der damaligen Agendorfer Bevölkerung. Gleichzeitig wurde das gesamte Dorf von etwa 600 so genannten Staatspolizisten umstellt. Niemand konnte mehr den Ort verlassen. Zur Auslieferung der A-gendorfer waren zwei Transporte mit geschlossenen Viehwagen vorgesehen. An Gepäck waren nur 50 kg/Person erlaubt. Vor allem nur lebensnotwendige Gegenstände und Nah-rungsmittel. Daran kann man auch erkennen, dass es sich nicht um eine humane Aussiedlung handelte, sondern um eine regelrechte Vertreibung mit all ihren schrecklichen Nebenerscheinungen und Folgen.

Die Familien wurden von Haus, Hof und Feld enteignet und alles was die Menschen lieb ge-wonnen hatten, musste hier zurückbleiben, bis auf jene 50kg/Person.

Damals hieß es, dass alles für die sogenannten "Telepes" zurückbleiben muss. Teilweise waren diese Neubürger schon hier im Ort oder sie waren noch auf dem Anreiseweg.

Ein markanter Ausspruch den man damals immer wieder zu hören bekam, war folgender:

"Die Schwaben sind einmal mit einem Binkel in Ungarn angekommen, sollen sie auch wieder Ungarn mit einem Binkel verlassen."

Ein weiterer Ausspruch war:

"Ein Schwabe hat in Ungarn keine Rechte mehr, schon gar nicht das Recht auf Eigentum. Schwaben sind in Ungarn nur noch Befehlsempfänger."

In Agendorf zählten sich die Deutschen nicht zu den Schwaben. Unsere Vorfahren kamen im Zuge der Reformation und Gegenreformation, aber auch schon viel früher, aus dem benach-barten Burgenland und anderen Landesteilen vom damaligen Österreich. Der erste Transport zur Vertreibung wurde im Laufe des Vormittages und frühen Nachmittag, am Montag, den 15. April 1946 zusammengestellt. Die einzelnen Viehwaggons wurden mit etwa 25-30 Personen belegt. Gegen Abend (18:00 Uhr) hat dann der erste Transport Agendorf mit etwa 600 Personen verlassen.

Am Donnerstag, den 18. April (Gründonnerstag), wurde der zweite Transport zusammenge-stellt. Beim Verladen von Personen und Gepäck stellte man am Ende fest, dass noch etwa 6-7 Waggons übrig waren. Um diese noch leeren Wagen mit Heimatvertriebenen aufzufüllen, holte man in einem Schnellverfahren aus der Nachbargemeinde Wandorf, wahllos zusam-mengetriebene, deutsche Familien. Diese mussten in weniger als zwei Stunden ihre Habse-ligkeiten zusammenpacken und wurden dann sofort nach Agendorf zur Deportation gebracht.

Am Karfreitag, den 19. April, hat dieser zweite Transport, gegen 6.00 Uhr morgens Agendorf auch mit ca. 600 Personen, verlassen.

Vor der Abfahrt eines jeden Transportes kamen noch die beiden Pfarrer beider Konfessionen zum Bahnhof, gingen von Waggon zu Waggon und verabschiedeten sich persönlich von einem jeden Einzelnen ihrer Kirchenmitglieder und sprachen den vertriebenen Familien ihren göttlichen Trost zu.

Auch Agendorfer, die in der Heimat verbleiben durften, verabschiedeten sich bei dieser Gelegenheit von ihren Verwandten, Freunden und ehemaligen Mitbürgern. Es war ein bitterer Abschied, der noch dadurch verstärkt wurde, dass beim Verlassen des Zuges von Agendorf, alle Glocken beider Kirchen läuteten.

Nach mehrtägiger Irrfahrt kamen die Heimatvertriebenen an ihren Bestimmungsbahnhöfen in Westdeutschland an. In der amerikanischen Zone, im Bundesland Baden-Württemberg. In den Landkreisen Aalen, Ludwigsburg‚ Heilbronn und Mosbach wurden dann die Vertriebe-nen auf Dörfer verteilt und meistens bei Bauernfamilien, in einem oder höchstens zwei Zimmern untergebracht. In diesen Dörfern lebten Agendorfer und auch Wandorfer zusammen mit Einheimischen aber auch mit Vertriebenen aus Jugoslawien, der Tschechoslowakei und Polen und begannen hier ihren Neuanfang mit den wenigen Habseligkeiten. Hier im zerstörten Deutschland waren große Not und Elend, verbunden mit Hunger und Heimweh. Oft konnten alte Menschen die Vertreibung aus ihrer Heimat, mit all ihren Folgen, weder körperlich noch psychisch verkraften, wurden krank und sind dabei nicht selten an seelischem Gebrechen verstorben.

Liebe Anwesende:

Ich habe Ihnen die Vertreibung unserer Eltern, Großeltern und Verwandten aus ihrer angestammten Heimat Agendorf, vor 60 Jahren geschildert, so wie es die Beteiligten damals erlebt hatten.

Uns alle möchte ich daran erinnern, dass wir diese Ereignisse von 1946 an unsere Kinder und Enkelkinder ungeschönt weitergeben und dass wir bereit sind, dieses traurige Kapitel der Vertreibung in all seinen Einzelheiten aufzuarbeiten.

Die Heimatvertriebenen haben Ungarn für diese unmenschliche Tat der Vertreibung vergeben. Ebenso hat sich auch Ungarn für dieses begangene Verbrechen an den Deutschen ent-schuldigt und die dabei begangenen Fehler eingestanden. Man muss verzeihen, soll und darf aber diesen Teil der Geschichte nicht vergessen. Dazu möchte ich uns alle auffordern. Wir, die wir uns zum 60. Jahrestag der Vertreibung an diesem Mahnmal versammelt haben, wollen nun zunächst all jenen vertriebenen Agendorfer gedenken, welche mittlerweile alt und gebrechlich sind und deshalb heute hier nicht dabei sein können, aber auch all denjenigen, die bereits in der "Neuen Heimat" verstorben sind.

Wir gedenken der Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, welche in ihre Heimat Agendorf nie wieder zurückkehrten und in fremder Erde ihre letzte Ruhestätte gefunden ha-ben.

Wir gedenken auch denjenigen Agendorfern, die vor 1946 und danach verstorben sind und hier auf dem Friedhof begraben sind. Ein Großteil dieser Menschen war es, welche Agendorf in seiner Gesamtheit prägten und die Gemeinde zu dem gemacht hatten ‚was sie bis 1946 war, eine blühende Bauerngemeinde.

Für uns alle hoffe und wünsche ich, dass wir aus diesem schrecklichen Teil der Geschichte gelernt haben. Vor allem aber, dass Deutsche und Ungarn gemeinsam mit den anderen Staaten der europäischen Union daran arbeiten, dass durch gegenseitigen Respekt, Achtung und Einhaltung der demokratischen Grund- und Menschenrechte, sowie durch die Achtung und Anerkennung der verschiedenen Sprachen und Kulturen, ein friedliches Für- und Miteinander aller europäischen Völker ermöglicht wird, so dass unseren nachfolgenden Generationen ein gemeinsames, friedliches Europa erhalten bleibt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Michael Böhm

 

Veröffentlicht mit freundlicher
Genehmigung von Michael Böhm