In vielen ehemals deutschen Gemeinden Ungarns wurden in diesem Jahr Gedenkfeiern zur Vertrei-bung der Deutschen vor 60 Jahren veranstaltet. Auch in Ödenburg und Umgebung wurden von Gemeindeverwaltungen und Kirchen die in Deutschland lebenden Vertriebenen zu diesen Feiern eingeladen.

Wer hätte dies vor 60 oder 50 Jahren für möglich gehalten! Zwar wird bei manchen Veranstaltungen noch behauptet, dass die Deutschen auf Befehl der Sowjets oder der Kommunisten ausgewiesen wurden. Geschichtliche Tatsache ist aber, dass die ungarische Regierung im Mai 194 dem Sowjetbotschafter eine Note übergaben, in der gebeten wurde, die Sowjets mögen bei der Potsdamer Konferenz (17.7.-2-8-1945) dahin wirken, dass die Deutschen aus Ungarn nach Deutschland ausgewiesen werden. Auf dieser Konferenz vereinbarten die drei beteiligten Regierungen (Sowjetunion, England und USA), dass auch die Volksdeutschen aus Ungarn in die Amerikanische Zone Deutschlands aus-gesiedelt werden. Am 22. Dezember 1945 veröffentlichte die ungarische Regierung im Amtsblatt Folgendes:

"Nach Deutschland umzusiedeln ist derjenige ungarische Staatsbürger verpflichtet, der sich bei der letzten Volkszählung (1941) zur deutschen Volkszugehörigkeit oder Muttersprache bekannt hatte oder der seinen magyarisierten Namen wieder in einen deutsch klingenden ändern ließ…..".

Einige wenige Ausnahmen wurden aus wirtschaftlichen Gründen auch in unserer Gegend gemacht. So bei den deutschen Facharbeitern von Agendorf und Brennberg, die im Kohlenbergwerk Brennberg arbeiteten. Sie wurden enthoben, da die Kohleförderung höchstes Staatsinteresse war!

Die vor 60 Jahren Vertriebenen suchten sich keine Heimat in Bayern, Baden-Württemberg oder Hessen, wie es heute in manchen Zeitungen zu lesen ist, sondern diese Länder mussten die Vertriebenen aufnehmen. Und wie wir wissen, "trugen diese Neubürger wesentlich zum Wiederaufbau unseres gemeinsamen deutschen Vaterlandes bei", schreibt F. Zimmermann.

In Ödenburg wurde im ev. Gottesdienst am Sonntag vor Pfingsten in ungarischer und deutscher Sprache bei den Gedenktafeln in der Kirche der Vertreibung gedacht. Dekan Gabnai und Pfarrer Menke hielten in dem gut besuchten Gottesdienst die Ansprachen.

In Agendorf wurde am 16. April eine Gedenkfeier veranstaltet, genau an diesem Tag vor 60 Jahren wurde der zweite Transport mit Agendorfern und Wandorfern in Viehwaggons aus der Heimat vertrie-ben. Es kamen sehr viele zu dieser Veranstaltung, zu der die Gemeinde eingeladen hatte. Es kamen viele von Agendorf, Brennberg, Wandorf und Ödenburg. Der ältestes war Herr Ágfalvi (Kirchknopf), 95 Jahre alt, der mit seinen Söhnen gekommen war.

Viele kamen auch aus der Nachbargemeinde Loipersbach und anderen Gemeinden des Burgenlandes. Die Grenze von Agendorf wurde an diesem Tag geöffnet. Aus Deutschland waren auch mehrere Vertriebene gekommen, so auch Michael Böhm sen. aus Schefflenz mit seinem Sohn.

Nach dem ökumenischen Gottesdienst in der ev. Kirche versammelten sich die Agendorfer und die zahlreichen Gäste beim Kriegerdenkmal, wo der Bürgermeister nach der Begrüßung über das traurige Geschehen vor 60 Jahren sprach. Die Festansprache hielt Michael Böhm jun. Er schilderte u. a. das Leben der Agendorfer in den letzten Wochen und Tagen vor und während der Vertreibung sehr realis-tisch, eben so, wie es ihm sein Vater erzählt hatte. Die Gedenkfeier wurde von der Agendorfer Musikkapelle und dem deutschen Gesangsverein Agendorf/Brennberg feierlich umrahmt.

Zur Gedenkfeier am 27. Mai kamen relativ viele ehemalige Kroisbacher aus Deutschland in ihre alte Heimat. In ihren Ansprachen am Ehrenmal erinnerten der jetzige Bürgermeister sowie die Ehrenbürgerin und langjährige Vorsitzendes des Heimatvereins, Maria Tobler, an die Ereignisse von 1946. Der jetzige Vorsitzende des Kroisbacher Heimatvereins, F. Ringbauer, schilderte die Vertreibung, die für unsere Eltern und Großeltern eine "Tragödie im wahrsten Sinne" war. Ebenso wies er af die weit verstreute Unterbringung in Süddeutschland hin, die eine Eingewöhnung und den Neubeginn noch mehr erschwerte. Jedoch Fleiß und Arbeitswille der 12 Millionen Vertriebenen haben mitgewirkt, dass das zerbombte Deutschland in kurzer Zeit wieder aufblühte, und uns zur zweiten Heimat wurde.

Die Gemeindeverwaltung von Harkau hat am 12. Mai eine Gedenkfeier veranstaltet, da die Harkauer an diesem Tag vor 60 Jahren einwaggoniert und vertrieben wurden. Zu dieser Feier wurden die ehemaligen Harkauer durch ein Rundschreiben (ungarisch) eingeladen. In der Überschrift dieses Schreibens heißt es (übersetzt):

"Geschichtliche Ungerechtigkeit…..Vertreibung 1946".

Nachdem sich der Verfasser mit der Vertreibung der Harkauer und deren Auswirkung auseinergesetzt hatte, schreibt er am Ende:

"wir müssen an die vertriebenen Harkauer denken, dass auch sie Opfer des zweiten Weltkrieges sind…." wenn wir in der Waage der Menschheitsgeschichte in die eine Schale die Gerechtigkeit, und in die andere die Ungerechtigkeit legen würden, ich glaube nicht, dass da der Zeiger der Waage sich zur Gerechtigkeit neigen würde….."

Leider konnten nur wenige Harkauer der Einladung folgen. Die Versammelten nahmen an einem ökumenischen Gottesdienst in der ev. Kirche teil. Dekan Gabnai und Pfarrer Menke hielten auch hier die Predigt. Der Bürgermeister erinnerte an das Geschehen von 1946 und Erich Tremmel - ein Vertriebener - gab seinen Ausführungen den Titel "Erinnerung". Nach dem Gottesdienst wurden am Kriegerdenkmal Kränze niedergelegt. Dann pilgerten alle zum Friedhof, wo der Verstorbenen im Gebet gedacht wurde.

Einen Gedenkgottesdienst zur Vertreibung der Harkauer feierte auch die Gemeinde Großseelheim. Am 18. Mai 1946 kam der Harkauer Transport in Cölbe an und dann wurden die Harkauer auf die Dörfer im Kreis Marburg/Hessen verteilt. Ernst Kappel erzählt, dass sechs Harkauer Familien nach Großseelheim kamen und dort auf die Bauernhäuser verteilt wurden. Seine Frau musste den Saal einer leer stehenden Gaststätte beziehen. Jemand brachte ihnen Stroh für das Nachtlager. Das war sein erstes Erlebnis in der neuen Heimat! Nachdem im vorigen Jahr der Kirchenchor von Großseelheim und die Pfarrfamilie auf ihrem Ausflug nach Harkau und die Umgebung besucht hatten, wurden auch viele Dias gemacht. Diese wurden nach dem Gedenkgottesdienst den ehemaligen Harkauern und den "Einheimischen" bei Kaffee und Kuchen im Gemeindehaus vorgeführt.

In der Stadt Wetter/Kreis Marburg wurde am 16. und 17. Juni ebenfalls eine Gedenkfeier veranstaltet. Verhältnismäßig viele Harkauer - der älteste war 92 Jahre alt - konnten hieran teilnehmen. Auch die Musikkapelle aus Deutschkreuz wirkte bei dieser Feier mit. Deutschkkreuz ist die Nachbargemeinde von Harkau, liegt in Österreich und ist Partnerstadt von Wetter. Eine schöne Ausstellung von Harkauer Ansichten veranstaltete Wetter zu dieser Feier. Es wurden Bilder aus der Zeit vor und nach 1946 gezeigt. Besonderes Interesse wurde hierbei den Bildern von der neu renovierten Heimatkirche entgegengebracht, denn diese Renovierung wurde zum größten Teil durch Spenden von Vertriebenen finanziert. Mit dem Bus der Deutschkreuzer kamen auch Helene, geb. Payer und zwei Jugendliche aus Harkau mit. Sie überbrachten die Grüße der Harkauer Gemeindeverwaltung. Ihre Familie war die ein-zige, die 1946 nicht aus Harkau vertrieben wurde.

 


Quelle: Ödenburger Rundbrief Nr. 56/August 2006
Andreas Schindler