a) Die Neuorganisierung der Gemeinde.
In den letzten Jahren mußte die Gemeinde teils wegen der Aussiedlung, teils wegen der durch die Revolution bedingten Veränderungen auf persönlicher und materieller Linie neu organisiert werden. Im Jahre 1947 wurden manche Ämter neu besetzt. Von 1944-1946 war der Stuhlrichter Elmar Molnár unser Kircheninspektor.

Er war ein gutherziger Mensch und brachte der Kirche viel Interesse entgegen. Wegen seiner Arbeitsüberlastung konnte er sich nur wenig um die Angelegenheiten der Kirchengemeinde kümmern. Da er nach seiner Pensionierung in seine Heimatgemeinde Beled verzog, legte er sein Amt nieder. Als seinen Nachfolger wählte die Gemeinde einstimmig den Bankdirektor Michael Gritsch, der trotz seiner vielen Verpflichtungen sich mit viel Liebe um die Angelegenheiten der Gemeinde kümmerte. Der Kurator Karl Teicher wurde auch ausgesiedelt. Sein Nachfolger wurde der pensionierte Eisenbahner Heinrich Rejtö. Ein stiller, treuer und gewissenhafter Mensch, der nach einer allgemeinen Information selbständig die finanziellen Angelegenheiten erledigen konnte. Während ich mich früher mit den verschiedenen Reparaturen, Abrechnungen abrackern mußte, nahm mir jetzt der Kurator fast alles von der Schulter. An Stelle von Ernst Mélykuti wählten wir den Lehrer Ludwig Schranz zum Schriftführer der Kirchengemeinde, der nach einiger Weisung selbständig die Protokolle, die Abrechnungen und die Kirchensteuerangelegenheiten erledigen konnte. Vorher mußte ich das alles alleine machen. Anstelle der durch die Aussiedlung ausgeschiedenen Presbyter mußten neue gewählt werden, die aus Liebe zur Gemeinde sehr viele Dienste umsonst verrichteten. Auch im Kantorenamt gab es seit 1939 öfters Veränderungen. 1939 waren Ladislaus Polster und Josef Istenes die Kantoren. Nachdem beide das Amt zur Verfügung gestellt hatten, wählte die Gemeinde Franz Heves. Da er aber in diesen kriegerischen Zeiten öfters eingezogen bzw. in Kriegsgefangenschaft war, versah meistens Ludwig Schranz treu den Kantorendienst, gerade in den kritischen Jahren. Im Jahre 1947 kehrte Franz Heves aus russischer Gefangenschaft heim und übernahm aufs neue den Kantorendienst. Mit großer Begeisterung organisierte er den gemischten Jugendchor. Nachdem er 1949 nach Ödenburg versetzt wurde, legte er sein Amt nieder. Die Gemeinde wählte schließlich Ludwig Schranz zu ihrem Kantor, jedoch mußte er bereits im Frühjahr 1950 auf Weisung der Gewerkschaft sein Amt zur Verfügung stellen. Seither versieht diesen Dienst der Theologe Gabriel Trajtler, mit großer Sachkenntnis. Hier vermerke ich auch, daß am Kirchweihtag 1949 die Witwe Susanne Böhm nach 30jährigem treuen Dienst als Schuldienerin und Meßnerin ihr Amt zur Verfügung stellte. Da wir aber keine geeignete Nachfolgerin fanden, erklärte sie sich bereit, ihren Dienst vorläufig weiter zu versehen. Frau Böhm war eine tragende Säule im Gemeinde leben. Sie ist bereits 76 Jahre alt, doch versieht sie ihren Dienst noch immer flink. In all ihrem Tun ist sie treu und ehrlich, bedingungslos zuverlässig, eine Beterin, eine Bibelleserin, eine tief gläubige Frau, die neben ihrer Ehrerbietung gegenüber der Obrigkeit jedermann die Wahrheit ins Gesicht sagt. Dabei aber eine kluge und humorvolle Frau. Ihr Name und ihre Person war in dem 30jährigen Dienst zu einem Begriff geworden. Die Leitung der Gemeinde, wie wir sahen, wurde fast gänzlich ausgewechselt. Auch auf der materiellen Seite ergaben sich viele Veränderungen. Die wichtigste war die Verstaatlichung der Schule. Wegen der materiellen Lasten der Schule gab es nach 1945 viele Auseinandersetzungen. Besonders nach der Aussiedlung war es strittig, ob die Gemeinde verpflichtet werden könne, das ganze Schulgebäude für den Schulbetrieb zur Verfügung zu stellen, wo doch der Großteil der Kinder nicht evangelisch war. Es gelang, das Problem so zu lösen, daß der Turm, der Betsaal und der daneben befindliche Saal im kirchlichen Gebrauch verblieben und auch grundbuchlich der Gemeinde zugeschrieben wurden. Wir freuten uns über diesen Entscheid, weil endlich einmal auch auf dem Papier das gemeinsame Besitzverhältnis dieser Räume aufhörte, die kirchliche Arbeit einen eigenen Raum fand, die Gemeinde von der Last der Schulerhaltungskosten befreit und der Pfarrer vieler Sorgen und zeitraubender Arbeit enthoben wurde. Durch die Verstaatlichung der Schule hörte der Pfarrer auf, Präses des Schulvorstandes zu sein. Nach kurzer Zeit legte er auch den Vorsitz im Kindergarten nieder, der bisher viel von seiner Zeit beansprucht hatte. Auch das Kirchensteuerwesen mußte neu geregelt werden. 1947 zweigten wir unsere Kirchensteuer von der bisher gemeinschaftlich verwalteten Staatssteuer wieder ab und veranlagten die Kirchenmitglieder nach dem Muster der Steuerbemessung der Ödenburger Kirchengemeinde. Damit begingen wir einen Fehler, denn der stark progressive Steuersatz gehörte der Vergangenheit an. Die Steuerveranlagung verspätete sich von Jahr zu Jahr und deshalb wurden auch die Steuerrückstände immer größer. Die Steuermoral wurde jedoch in der letzten Zeit besser. Viele bezahlten ihre Rückstände und 65% der Bemessung gingen ohne besondere Werbung ein. Die materiellen Angelegenheiten der Gemeinde stellten wir nach und nach auf das Prinzip der Freiwilligkeit um. Die Kollekten, freiwilligen Spenden und der Wert der freiwilligen Arbeiten überstiegen bereits die Summe der Kirchensteuern. Der Verlauf der persönlichen und materiellen Angelegenheiten der Gemeinde zeigte in den letzten Jahren einen bedeutenden Fortschritt. Und da sich die Gemeindeglieder immer mehr für die Gemeindearbeit mitverantwortlich wußten und mich bei der Erledigung der materiellen Angelegenheiten entlasteten, blieb mir gottlob mehr Zeit für eine intensivere geistige Arbeit.

b) Angeregte geistige Arbeit
Meine frei gewordene Zeit benutzte ich in erster Linie zur Vermehrung der Besuche. Die Zahl der Kirchgänger wurde dadurch nicht größer, aber es machte mein Verhältnis zu den Gläubigen zweifellos unmittelbarer. Da ich mich immer mehr damit beschäftigte, wie ich die Nichtkirchgänger gewinnen könnte, versuchte ich es mit Evangelisationen. Weihnachten 1948 hielt ich eine Gemeinde-, Ostern 1949 eine Jugendevangelisation, die sowohl 1/3 Teil der Gemeinde ansprach, doch kaum die Nichtkirchgänger erfaßte. Im Herbst 1947 begann ich mit großer Kraft ungarische, deutsche und Mädchen-Bibelkreise einzurichten. Vor allem für die Mädchenarbeit setze ich mich ein. Den zweistimmigen Singkreis leitete ich selbst, wir veranstalteten Religionsabende daheim und in den Nachbargemeinden; wir besuchten Répcelak, die staatliche Kindergärtnerin Josefa Mesterházy hielt Handarbeitsstunden für die Mädchen. Auf jede Weise versuchte ich, ihre Gunst zu erlangen und sie langsam für die Bibel zu interessieren. Gegenwärtig fahren schon mehrere zu Konferenzen und nehmen aktiv an der Gemeindearbeit teil. Heute kann man sich die Jugendarbeit ohne Bibel nicht vorstellen, während 1947 noch viele die Nase rümpften, wenn ich meine hervorholte. Seit 1947 gab ich in allen Schulklassen den Religionsunterricht. Er erwies sich als eine mühsame, viel Zeit beanspruchende, doch auch als eine viel Freude versprechende Arbeit. Ich liebte die Kinder und sie liebten mich. Und durch die Liebe der Kinder gewann ich auch das Vertrauen und die Liebe eines immer größeren Kreises. Die Kinder kamen gerne zu den Religionsstunden und zum sonntäglich Kindergottesdienst. Die Eltern besuchten mich freundlich, um die seelischen Probleme ihrer Kinder zu besprechen. Im Frühling dieses Jahres begannen wir mit den Kinder-Bibelkreisen, mit deren Leitung ich schon gläubige Gemeindeglieder betrauen konnte. Wir wußten, daß die Früchte des Gottesworts oft verborgen blieben, doch konnten wir es als Ergebnis einer intensiven geistigen Arbeit bezeichnen, daß die starke Besucherzahl der Gottesdienste, die absoluten Zahlen der Abendmahlsteilnehmer und der Spenden der jetzigen kleinen Gemeinde fast übereinstimmt mit den Daten der viermal größeren Gemeinde vor der Aussiedlung. Dem Herrn Sei dafür Dank und Ehre!

(Geschrieben vor 1952 von Pfarrer Pröhle)
Quelle: Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Wandorf
Prof. Pröhle (1950), übersetzt aus dem Ungarischen von Matthias Ziegler