a) Durchzug der Front
Die Front erreichte im Herbst 1944 die Karpatenlinie. Unsere Deutschen wurde mit Hilfe der Gendarmerie von einer aus deutschen Offizieren bestehenden Kommission gemustert und in die SS-Einheiten eingereiht, sogar die über 42jährigen. Unsere Deutschen gingen jetzt nicht mehr mit Begeisterung umher sondern waren innerlich gebrochen, und die Älteren schrieben mit bitterem Hohn an die Wände der Waggons: "wir alten Affen sind die neuen Waffen!".

Der Mehrheit des Volkes war klar, daß der Krieg verloren war, obwohl es immer noch einige gab, die auf ein Wunder warteten. Die Gemeinde war mit Flüchtlingen überfüllt. Zuerst kamen die aus Siebenbürgen vertriebenen Sachsen, dann die Ungarn. Unser Dorf war vol mit ungarischen und deutschen Soldaten. In dem für 3.600 Seelen gebauten Dorf wohnten öfters 15.000 Menschen. Die Schule war wohl für das Militär beschlagnahmt, aber den Betsaal durften wir benutzen. Wegen der Luftalarme konnte man nur früh und abends Gottesdienst halten. Die gottesdienstlichen Handlungen wurden nicht besonders gestört, obwohl ich einmal um 10 Uhr abends nach einem Luftalarm, bei abgeblendetem Taschenlampenlicht, 3 Paare in dem überfüllten Betsaal traute. Der Ernst der Lage und die Brutalität des Systems öffneten vielen Menschen die Augen. Zu Weihnachten brachte man 2.000 Juden in das Dorf. Infolge des Frostes und der schlechten Behandlung starben täglich 8-10 von ihnen. Es gab in der Gemeinde einige, die unmenschlich mit den Armen umgingen. Aber viele halfen insgeheim, wenn sich Gelegenheit dazu bot. Die Bewachung der Juden vertraute man 14-15jährigen Jugendlichen an, die eine besondere Belohnung von 50 Pengö erhielten, wenn sie einen von ihnen niederschossen. Als ich das sah, ermahnte ich die Levente, menschlich mit den Armen umzugehen. Bei einer Gelegenheit verurteilte ich vor einer Kommission hart die unmenschliche Behandlung und das tierische Bestatten der Verstorbenen. Ich bat auch um Erlaubnis, bei den Juden Seelsorge betreiben zu dürfen. Die Zuständigen schwiegen vor Angst und taten, als hätten sie meine Worte nicht gehört. Übrigens wurde mein Verhältnis zu den offiziellen Kreisen immer angespannter. Major Binder, Verbindungsoffizier zwischen den Pfeilkreuzlern und dem Volksbund und der örtliche Leiter desselben, Johann Berger, suchten mich nach dem Szálasi-Putschauf und verlangten die freiwillige Räumung des Pfarrhauses, andernfalls sie mich mit den Gendarmen auf die Straße setzen. Ich erklärte ihnen, daß sie mit mir machen könnten, was sie wollten, aber meinen Platz würde ich freiwillig nie aufgeben. Beim Weggang sagten sie noch: Dieser Mensch ist reif für den Strick! Seither stand ich auf ihrer schwarzen Liste. Auf dem Gemeindehaus hatte ich auch immer wieder Scherereien mit den Führern der Pfeilkreuzler. Sie wollten mich überreden, daß ich mich für eine Aussiedlung nach Deutschland melde. Dies verweigerte ich mit der Begründung, daß ich hier meinen Dienst versehen müsse, was auch gesehen. Mir geschah nur darum nichts. Weil die Front in der Karwoche plötzlich über uns hinwegraste und meine Feinde flüchteten. Gründonnerstag wurde ausgetrommelt daß jedermann das Dorf zu verlassen habe. Daraufhin spazierte ich im Dorf auf und ab, daß jedermann sehe, ich packe nicht und gehe nicht. Am Morgen des Karfreitag sagte ich den Gläubigen (etwa 30), daß ich meinen Platz nicht verlasse, im Pfarrhaus für jeden zu finden sei und die Gottesdienste und sonstigen Dienste in den gewohnten Zeiten halten werde, solange mich nicht ein Unfall oder Gewalttat daran hinderten. Unvergeßlich der Abendmahlgottesdienst im Karfreitag, zu dem wir im Maschinengewehrfeuer niedrig fliegender Flugzeuge gingen und der während vieler Bombardierungen ablief. Auf viele wirkte meine Haltung beruhigend. Nur die oberen Führer unserer Deutschen flüchteten vor den zu erwartenden Kämpfen in die Nachbardörfer, verzogen sich in die Wälder, von wo sie aber schnell wieder zurückkamen. Die meisten Bewohner aber blieben zu Hause, nur von den Dorfrändern zogen sie sich ins Dorfinnere. Als am Ostermorgen, den 1.4.1945, die Russen zu uns kamen, waren wir zu zehnt im Pfarrhaus. Von einigen kleineren Verlusten abgesehen geschah uns, Gott sei Dank, kein Leid. Wir hatten nicht einmal eine Einquartierung. In den folgenden Wochen wurde die Einquartierung schon etwas gelenkt. Da ich aber als Mann des Widerstandes galt, verschonte man mich damit. Dann geriet das Pfarrhaus in den Absperrgürtel einer sehr ordentlichen russischen Luftabwehrformation. Sie benutzte nur unseren Brunnen, aber sie schützte uns auch vor jedem Unwesen. Das Dorf mußte viel ausstehen. Plünderungen und Vergewaltigung der Frauen war besonders in den ersten Tagen gang und gäbe. Die Mädchen, die jungen Frauen, versteckten sich in Kellern, oft liegen sie von Hof zu Hof, ein Versteck suchend. Die Moral war schon sehr gelockert. Sogar ordentliche Bürger nahmen in dieser Zeit, was in ihre Hände geriet.

b) Das Schicksal unseres Betsaales
Die Kirchengemeinde hatte nur unbedeutende finanzielle Verluste. Nach dem Einmarsch der Russen hielten wir anfangs ohne Hindernisse unsere Gottesdienste, nur Ostern fiel er aus, da niemand kam. Einige Wochen später beschlagnahmten die Russen die ganze Schule und auch den Betsaal und brachten ihr Kriegslazarett darin unter. Den Betsaal erhielten wir nach einigen Tagen zurück, doch da ich Reibereien vermeiden wollte, hielt ich auch weiterhin im Friedhof die Gottesdienste. Als wir am Himmelfahrtstag nachmittags gerade mit dem Gottesdienst begonnen hatten, flüsterte mir jemand ins Ohr, daß mich ein russischer Offizier suche. Ich ließ ihm sagen. Nach dem Gottesdienst können wir uns unterhalten. Nach Beendigung der Feier herrschte man mich an, warum ich wieder halsstarrig gewesen sei, der Offizier war wegen des Betsaales da und ich hätte nun alles wieder verdorben. Als ich gerade nach Hause ging, wurde ich zur russischen Kommandantur gerufen. Ich ging, wie ich gerade war, in meinem Talar. (Übrigens trug ich während des Ansturms keinen Talar aus der Erwägung heraus, daß mich der Herrgott auch ohne diesen beschützen kann). Es wollten mehrere mitkommen, aber die Russen wollten nur mit mir sprechen. Ich blieb allein in dem Haus, Hauptstr. 113 unter höheren russischen Offizieren. Sie gingen freundlich mit mir um, sie waren über mein Verhalten vor dem Einmarsch informiert. Der Offizier, der mich suchte, war Major Turik, Kommandeur der Waffenstillstandskontrollkommission. Er frage mich: Warum halten Sie die Gottesdienste nicht im Betsaal, da wir ihn doch ausräumten?. Ich: Der Lärm des Lazaretts würde nur stören und ich kann nicht erwarten, daß die russischen Soldaten sich während des Gottesdienstes still verhalten sollen. Die Offiziere beratschlagten untereinander. Ich merkte, meine Antwort gefiel ihnen. Sie fragten erneut: Unter welchen Voraussetzungen würden Sie im Betsaal den Gottesdienst halten? – Wenn Sie wenigstens den Flügel oberhalb des Betsaales räumten. Ich war selbst erschrocken, daß ich vielleicht doch zu viel verlangte. Nach einer abermaligen Beratung erklärten sie: Wegen der Kämpfe um Wien können wir nicht das ganze Gebäude räumen, aber der Raum über dem Betsaal wird frei gemacht. Ich bedankte mich vielmals. Major Turik bat mich dann, ihm einige Fragen zu beantworten. Was halten Sie von dem neuen Bodenreformgesetz? Man hätte es schon längst verwirklichen sollen. Was hält die Dorfbevölkerung davon? Sie hat Angst davor, daß man ihr das Vermögen nimmt. Warum? Sie waren im Volksbund. Was halten sie von den Russen? In jedem Volk gibt es Gute und Schlechte. So wird es auch bei den Russen sein. Diese offene und ehrliche Antwort gefiel ihm. Ich wurde dann mit großer Achtung verabschiedet. Am kommenden Samstag wurde innerhalb von Stunden der Flügel oberhalb der Betsaales geräumt, und wir konnten unseren Gottesdienstraum wieder ohne jegliche Störung benutzen Es gab Zeiten, in denen russische Soldaten unsere Gottesdienste regelmäßig besuchten, später gab Major Turik seine Verfügung sogar schriftlich heraus und verhinderte so die Beschlagnahmung des Betsaales seitens russischer Verbände.

c) Die Wirkung der Wende
Die Führer des exponierten Volksbundes und der Pfeilkreuzler flohen vor der herannahenden Front. Das Volk blieb daheim. Die Mehrheit der Eingezogenen kehrte heim. Viele Jugendliche versteckten sich im Wald. Nachdem Hitlers Reich zusammengebrochen war, erwachten unsere Deutschen wie aus einem bösen Traum, erkannten dessen Fehler, schimpften auf ihn und empfanden so etwas wie Reue. Die Stimmung in der Gemeinde schwenkte um, viele näherten sich wieder der Kirche und es gingen wieder Leute zum Gottesdienst, die vorher das Gotteshaus gemieden hatten. Viele fingen erst jetzt an, die Dienste der Kirche zu schätzen, denn sie sahen, als jedes andere Amt geschlossen war, die Menschen ziellos dahintrieben und alles auf dem Kopf stand, daß die kirchlichen Dienste auch jetzt noch zielbewußt und unverändert funktionierten. Auch mir gegenüber war die Gemeinde verändert. Soweit sie mich vorher herabgesetzt und beschimpft hatten, so sehr wuchs jetzt meine Autorität und man erwähnte übereinstimmend, daß keiner unter den führenden Männern des Dorfes eine so reine politische Vergangenheit aufzuweisen habe wie ich. Viele erwarteten, daß ich jetzt der neuen politischen Richtung zur Verfügung stehe. Dazu war ich jedoch nicht bereit. Während der inneren Kämpfe vor 1945 lernte ich, daß man die kirchlichen Angelegenheiten nicht mit den weltlichen vermengen solle. Innerlich befreit, stürzte ich mich in die Gemeindearbeit, nachdem ich das Vertrauen und die Achtung der Gemeinde (auch das der Katholiken) wieder gewonnen hatte. Ich war ständig unterwegs weil ich wegen der Flucht des Agendorfer Pfarrers bis Weihnachten 1945 Agendorf und Brennberg, ungefähr 4.500 Seelen, zu betreuen hatte. Im Regen, Schnee, unter größter Unsicherheit, oft unter Lebensgefahr. Es war keine Rede mehr davon, daß man Wandorf verselbständigen mußte, warum wir uns von Agendorf trennten. Jetzt waren sie auf uns angewiesen. Die veränderte Haltung der Gemeinde zeigte sich auch auf finanziellem Gebiet. Von der gemeinsamen Steuerentrichtung sahen wir keinen roten Heller. Unsere Geldreserve war entwertet. Die Gläubigen verrichteten jede Arbeit, Reparatur und Reinigung umsonst. Freilich bekam auch ich kein Gehalt. Ich sprach nie darüber. Eine Weile ging es, doch dann hungerte ich sogar. Als das meine Gläubigen zufällig erfuhren, taten sie sich zusammen und schickten mir täglich das Mittagsbrot, aber ich solch feiner Form, daß ich nie erfuhr, wem ich es zu verdanken habe, da sie es durch andere schickten.

d) Die Aussiedlung
Schon bei der Volkszählung im Jahre 1941 munkelte man, daß alle, die sich als Deutsche bekannten, ausgesiedelt werden. Dies geriet aber schnell wieder in Vergessenheit. Seit August 1945 begann man erneut davon zu erzählen, daß die Deutschen ausgesiedelt werden. Es glaubte aber niemand. Da ich die aus der neuen politischen Lage resultierende Möglichkeit kannte, bemühte ich mich, die Gemeindeglieder auf diese große Erschütterung vorzubereiten. Ich ermahnte meine Kirchgänger und bat, daß sie sich seelisch darauf vorbereiteten. Es gab welche, die lachten über meine Naivität, die anderen legten meine Worte dahingehend aus, daß ich die Aussiedlung wünsche, und nur wenige hörten auf mich. Am 7.4.1946 registrierte man die ganze Dorfbevölkerung. Aussiedlungskommissionen, zahlreiche Gendarmerie und sonstige Formationen erschienen im Dorf. Sie sperrten das Dorf hermetisch ab. Eine Woche später, am Palmsonntag, dem 14.4.1946 veröffentlichte man die Namensliste der Aussiedler. Sie führte 2.500 Namen auf. Es war eine Sensation, daß auch mein Name auf der Liste stand. Jedermann wußte, daß dies nicht stimmen könne. Die eingeleitete Untersuchung ergab, daß die fremde Kommission neben meinem Namen die Personalien des gleichaltrigen, aber nicht anwesenden Karl Plöchl geschrieben hatte. Es besteht gründlicher Verdacht, daß auch Absicht im Spiele war. Die Aussiedlung bedeutete eine unbeschreibliche seelische Erschütterung für die meisten Menschen. Sie kam unverhofft und fand die Menschen unvorbereitet. Die meisten begannen zu essen, zu trinken, sich zu amüsieren und fiebernd zu packen. Sie konnten nicht viel mitnehmen. Es war bitterschwer für die Menschen, die nur für den Vermögenserwerb lebten. Sie zerstörten aber nichts. Sie übergaben ihr Vermögen unversehrt, und Selbstmorde gab es nur drei. Keiner davon war evangelisch. Vor dem Abgang der Transporte hielt ich jedesmal einen Abschiedsgottesdienst. Zu diesen aber kamen nur wenige: Alle waren mit dem Packen beschäftigt. Am Gründonnerstag, dem 17.4.1946 morgens um 7 Uhr schloß man die Häuser der Aussiedler des ersten Transports ab und fuhr die Leute bis in den späten Nachmittag auf die Agendorfer Bahnstation, wo sie einwaggoniert wurden. Dieser Transport fuhr am Karfreitag 1946 ab. Der zweite Transport ging am Ostermorgen von Agendorf ab, der dritte am Mittwoch nach Ostern vom Ödenburger Raaber Bahnhof. Bei jeder Gelegenheit suchte ich beim Transport alle auf, sprach mit jedem und reichte ihm zum Abschied die Hand. Viele sagten: "Der Herr Pfarrer war der einzige, der uns die Wahrheit sagte und uns nie betrog!". Die ganze Aussiedlung spielte sich in 18 Tagen ab. Sie war so für die Aussiedler wie für die Daheimgebliebenen ein schlimmeres Erlebnis als der Durchzug der Front. Viele erinnerten sich noch später an meine Predigt, die ich im Juli 1944 hielt. Damals trieben sie die Juden in das Ghetto. Am folgenden Sonntag war gerade Lukas 13, Vers 1-5 der Predigttext, in dem davon die Rede war, daß man Jesus antwortete rührte Menschenblut unter das Blut der Opfertiere. Jesus antwortete darauf: Glaubt nicht, da die schuldiger waren als ihr. Ich sage auch: Nein; sondern wenn ihr nicht umkehrt, werdet ihr alle auch so umkommen.

d) Die verstümmelte Gemeinde.
Die Einwohnerzahl der Gemeinde betrug vor der Aussiedlung 3.100 Personen. Ausgesiedelt wurden 2.060 Menschen. Sogar nach einem Monat wohnte nur in jedem dritten Haus jemand. Es war gespenstisch, wenn man das ausgestorbene Dorf entlang ging. In bekannten Häusern unbekannte Gesichter! Ungarische Laute auf den Straßen: Der Mensch hob den Kopf, denn bisher wurde nur deutsch gesprochen, so daß man sich wie im Ausland wähnte. Von den Gesichtern konnte man das Verlangen eines schnellen Reichwerdens ablesen. Die Neulinge begutachteten die Häuser, um sich ja das schönste auszusuchen. Die Ureinwohner jedoch nutzten die Unwissenheit der anderen aus und gaben das Vermögen ihrer ausgesiedelten Verwandtschaft als das ihre aus. Die daheim gebliebenen Deutschen beobachteten anfangs in ohnmächtiger Erstarrung die Dinge, dann aber blickten sie mit einer maßlosen Verbitterung, Haß und Verachtung auf die Ungarn. Auf einmal begannen die alten Nationalitätenprobleme von vorne. Mit den Ausgesiedelten solidarisierten sich plötzlich alle, die nur etwas mit dem Deutschtum zu tun hatten. In der Aussiedlung sahen sie eine große Ungerechtigkeit. Die Wirkung der Aussiedlung zeigte sich auch im Leben der Gemeinde. Anfangs sah es so aus, als wenn überhaupt keine Gemeinde übrig geblieben wäre. Bei der Zusammenzählung stellte sich heraus, daß noch 600 Seelen vorhanden waren. 1939 betrug die Seelenzahl der Gemeinde 2.547. Von denen waren bei der Aussiedlung 400 nicht daheim. Ein großer Teil derselben wäre sowieso ausgesiedelt worden und deshalb konnten sie nicht zurückkommen. Unmittelbar vor der Aussiedlung betrug die Seelenzahl 2.124, davon wurden ausgesiedelt 1.620, daheim blieben 504. Die Seelenzahl erhöhte sich durch die Ansiedlung auf 600. Es war noch immer eine lebensfähige Gemeinde, wenn eine innere Lebenskraft und Zusammenhalt vorhanden war. Nur die Sprachentrennung wurde jetzt zur brennenden Frage. 100 meist deutsch sprechende Ungarn waren in einer 2.500 Seelen zählenden Gemeinde eine unbedeutende Minderheit. Aber 200 Ungarn von 600 Seelen waren schon ein nicht vernachlässigender Anteil. Schon vor 1945 ergriff ich jede Gelegenheit, um ungarischen Gottesdienst zu halten. Nach 1945 hielt ich alle zwei Wochen, seit Anfang 1946 wöchentlich einen ungarischen Gottesdienst Nach der Aussiedlung besuchte man die deutschen Vormittagsgottesdienste immer weniger. Deshalb stellte ich sie ein und hielt dafür ungarische Gottesdienste. Es war typisch, daß die Deutschen deshalb sehr böse auf mich wurden und viele es mir noch heute nachtragen. Oft solche, die während meines Wirkens hier noch nie in der Kirche waren. Nach der Aussiedlung versuchte ich, die Gemeinde zu sammeln. Es waren viele, deren gesamte Verwandtschaft ausgesiedelt wurde; die auf sich allein gestellt auch Sonntags daheim herumsaßen, mit niemandem verkehrten und oft gar nicht wußten, wie groß die Kirchengemeinde im Dorfe sei. Ich versuchte, die Gemeinde seelisch auf die Füße zu stellen: Mit Trost und dem Ruf zur Umkehr. In dieser gehässigen Atmosphäre war letzteres sehr nötig. Es gab viele, die wegen der Aussiedlung Gott lästerten, andere wiederum haßten die Ungarn. Im Herbst 1946 predigte ich in einem Nachmittagsgottesdienst von der gegenseitigen Liebe, und ohne vorherige Überlegung sagte ich, daß wir verloren sind, wenn sich die ungarisch und deutsch sprechenden Gemeindeglieder in der Liebe nicht verstehen. Am kommenden Sonntag kamen nur wenige zum Gottesdienst. Sie nahmen Anstoß daran, daß ich die Deutschen für eine Liebe gegenüber der Ungarn ermahnte, wo doch dieselben sie um ihr Vermögen gebracht hatten. Weihnachten 1946 kamen sie zahlreicher zum deutschen Gottesdienst. Ich predigte über Titus 3, 4-7, darüber daß sich die Gnade Gottes auch darin zeigte, daß bei uns ein größerer Rest blieb als in anderen Gemeinden. Doch Gott möchte das Volk unserer Gemeinde zu seinem eigenen erziehen. Er will sie mit rufenden Worten zur Bekehrung erziehen, die Sonntag für Sonntag hier in der Kirche erklingen. Leere Bänke klagen die Gemeinde an, daß sie nicht auf Gottes Wort hört Doch könnte die Gemeinde an der Aussiedlung sehen, wie Gott ein Volk verurteilt das nicht auf sein Wort hören wollte.

Quelle: Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Wandorf
Prof. Pröhle (1950), übersetzt aus dem Ungarischen von Matthias Ziegler