Es ist allgemein bekannt daß der 6. Dezember ein Freudentag für die Kinder ist, denn dann kommt ja der Nikolaus mit seinen vielen Gaben. Auch in Wandorf wurde schon Tage vorher den Kindern beigebracht, daß man brav sein muß, wenn einem der heilige Mann Geschenke bringen soll. Sie glaubten treu, daß er alle Tage abends horche, ob sie auch beteten und der Mutter folgten.

So artig wie zu dieser Zeit waren sie noch nie gewesen. Sie weinten nicht und verrichteten alle Aufträge gern. Sogar ihre Stiefelchen, die sonst die Mutter in Ordnung hielt, putzten sie glänzend, damit der Nikolaus ja mit ihnen zufrieden sei. Und was das Wichtigste war, die Großmutter mußte ihnen einen schönen Vers beibringen, mit dem sie dann den guten Nikolaus in Verwunderung bringen wollten. Der Nikolausabend (5. Dezember) kam langsam heran. Die Kinder waren schon den ganzen Tag unruhig und wußten nicht, ob der "pulnische" oder der richtige Nikolaus zu ihnen kommen würde. (Bei uns hieß es nämlich, daß zu den bösen Kindern der "pulnische Niglou" kommt, der sie in seinen großen Sack packt und in den tiefen" Totschigrom" wirft, wo sie jämmerlich zugrunde gehen müssen.)

I bin jo eh brav g'wein!" war die ständige Rede der Kinder und sie glaubten mit Hoffen und Zagen, daß der Abend in ihrem Sinne ausgehen werde. Der Nachmittag verging, die Mutter rief zum Abendessen. Die lieben Kleinen, die kaum einen Bissen hinunterbrachten, probierten öfters, ob sie den Vers noch im Gedächtnis hätten. Sie, die Tage vorher noch herumlärmten, waren jetzt stumm und blickten unentwegt zur Tür. Von der Gasse her hörte man schon häufiger das Geklingel. . . Der Vater oder ein älterer Bruder, der die Kleinen bis jetzt getröstet hatte, verschwand in die Kammer, wo er den gewendeten Mantel anzog, eine Pelzmütze auf- setzte, die Larve vor das Gesicht band und die große Butte auf den Rücken nahm. Auch die hell tönende Glocke durfte nicht fehlen. Das Geklingel wurde immer stärker und die Kinder wußten, daß jetzt ihre Stunde geschlagen hatte. Die Tür ging auf, der viel gefürchtete Nikolaus stand vor ihnen. "Kaost an Veas?" donnerte der "Niglau" los. Und das verschüchterte Kind fing zaghaft an:

"Niglau, Niglau, du schenna Hea,
Lei ei, lei ei, wos i begea.
I begea a guüdigs G'wand
Und a süwani Nuß in d'Hand."

Hatte das Kind den Spruch schön aufgesagt, so war alles in bester Ordnung. Der Nikolaus lobte es für das tapfere Vortragen und stellte ihm - worüber sich das Kleine von Herzen freute - ein Simperl voll Apfel, Nüsse und Süßwaren auf den Tisch. Nach der Mahnung, daß das Kind auch weiterhin brav bleiben müsse, verschwand der Nikolaus aus dem Haus. Es kam aber auch vor, daß das eine oder andere Kind sein Sprüchlein nicht aufsagen wollte. Vor Angst, Tränen in den Augen oder vor Trotz kroch es unter das Bett, wo es sich sicher glaubte. Doch unser Nikolaus, der aus eigener Erfahrung wußte, wo sich die widerspenstigen Kinder aufzuhalten pflegten, holte es heraus und steckte es in die große Butte, wo es sehr gruselig aussah. Es rasselten die Ketten, das Kleine weinte und brüllte wie am Spieß. Aber es half nichts, es mußte mit. Die Mutter und die Geschwister baten es, den Spruch doch aufzusagen, dann dürfe es aus seinem Gefängnis heraus und bekäme auch Nüsse und andere Leckereien. Als es sah, daß der "pulnische Niglau" wirklich Ernst machte, fühlte es sich gezwungen, wenn auch unter Tränen und stockend, den Spruch aufzusagen. Nun war es geschafft! Kaum war der Nikolaus verschwunden,! begann der Freudenschmaus. Die Kinder, noch Tränen in den Augen, hüpften und klatschten vor Freude in die Hände, liefen zu den Eltern und zeigten die Geschenke vor, die sie unter sich ehrlich verteilten. Auch die Eltern durften davon probieren.

War der Nikolaustag vorbei, zählte man schon die Tage bis zum "Christkindi". Auch jetzt - der Mahnung des Nikolaus' eingedenk - waren die Kinder brav und anständig. Einige Wochen vor Weihnachten begann die Mutter mit der Weihnachts-Backerei. Aber die Kinder, die man nicht dabei haben wollte, schickte man zur Tante oder zur Großmutter, wo sie auch den Weihnachtsspruch einüben sollten. Die Zeit verging, der Heilige Abend stand vor der Tür. Es war dunkel geworden. Die alte Kukkucksuhr an der Wand schlug gerade sechs, die Kinder fingen langsam an, ungeduldig zu werden. "Muida, wann kimmt'n schau amuü deis Christkindi?" fragte das eine Mädchen. "s' is nannit dau", antwortete die Mutter. Das war ein schwacher Trost. Es setzte sich zu den anderen Kindern aufs Ofenbänkchen und nahm sein kleines Geschwisterchen auf den Schoß, das schon müde mit den Augen blinzelte und das kleine Mäulchen verzog.

Warten ist nie leicht, besonders am Weihnachtsabend nicht. Aber unsere Kleinen, die an Gehorsam gewöhnt waren, saßen ruhig und warteten. . . Die Eltern sprachen im Nebenzimmer leise, es wurde eifrig hin- und her- gegangen, eine Nuß fiel herab und rollte ein Stück auf dem Fußboden. Die Kinder hielten es fast nicht mehr aus vor Erwartung. Der größere Bub schlich öfters ans Schlüsselloch, doch vergebens. Endlich ertönte die Glocke, und die Tür ging auf.

Welche Pracht! Mitten in der Stube stand der herrliche Christbaum mit vielen Lichtern, mit Äpfeln, Nüssen und allerlei Zuckerwerk. Und darunter lagen gar liebliche Dinge: Anzüge für die Buben, Kleidchen für die Mädchen und dazu noch eine schöne Puppe und Bilderbücher. War das ein Jubel! Die Kinder sprangen in der Stube herum und klatschten vor Freude in die Hände. Doch die Mutter erinnerte sie bald an den Weihnachtsspruch und meinte, das Christkindl wäre neugierig, ob sie ihn auch ordentlich aufsagen könnten. Die Kinder verstummten. . . die Tür ging auf und das Christkindl stand an der Schwelle, im weißen Kleide, eine güldene Krone auf dem Haupte. Es lächelte die Kleinen lieblich an, zeigte auf die Geschenke und versprach, ihnen alles zu schenken, wenn sie einen schönen Spruch aufsagen könnten. Die Kinder, die sich gar nicht fürchteten, stellten sich forsch vor das Christkind und sagten laut ihren Vers auf:

"Christkindelein, komm herein
Mit dem schönen Bäumelein.
Bum, bum, trara,
Mit'm schönen. ..."

Auch das Allerkleinste sagte sein Sprüchlein auf, wenn man es so nennen durfte. Es konnte ja noch nicht wirklich reden, man verstand kaum ein Wort. Aber das Christkindl, das in die menschlichen Herzen sieht, hatte alles genau vernommen und strich liebevoll über sein Haar. Der Hausvater, der sich eine Zeitlang an der Freude seiner Kinder ergötzt hatte, nahm jetzt die vom Urgroßvater ererbte Hausbibel hervor, schlug das Evangelium des Lukas auf (Luk. 2, 1-14) und las: "Siehe, ich verkündige euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren.

Draußen war es still und kalt, von fern und nah ertönten die bekannten Weihnachtslieder. Auch unsere Familie erlag der süßen Weihnachtsstimmung, sie stand vor dem brennenden Lichterbaum und sang: "Stille Nacht, heilige Nacht". Das Christkind war verschwunden, niemand hat's fortziehen gesehen, doch ließ es etwas zurück, was man mit Worten nicht so richtig ausdrücken kann. Es war der göttliche Friede, der alle Menschen beseelt und von dem der Engel in Bethlehem sang: "Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen."

Quelle: Wandorf - Geschichte und Entwicklung
Die Geschichte und Entwicklung eines ehemaligen Stadtdorfes Ödenburgs
Hans Degendorfer, Matthias Ziegler (1991)