Teil 3: Demokratie – Informationsfluss – Personen - Gremien

 

Der Systemwechsel im Jahr 1989 brachte für die deutsche Minderheit nicht nur ein völlig anderes politisches System, sondern -fast parallel dazu- auch die genauere Bestimmung der Minderheitenrechte und die Umgestaltung des Verwaltungssystems, und das vor allem auf lokaler Ebene. Zuerst wurden vom ungarischen Staat die Rahmenbedingungen für die Bildung von Minderheiten-Selbstverwaltungen geschaffen, dann bekamen diese neben den Kirchen ebenfalls das Recht, die Bildungseinrichtungen in eigene Trägerschaft zu übernehmen. Agendorf nutzte beide Möglichkeiten, die Deutsche Minderheiten-Selbstverwaltung wurde gegründet und übernahm dann zuerst die Schule, dann den Kindergarten.

In Minderheiten-Schulen ist die Pro-Kopf-Unterstützung für die Kinder höher als in den normalen Schulen. Die Lehrer, die in der Minderheitensprache unterrichten, bekommen Zulagen bei den Lehrergehältern. Das blieb auch nach der Übernahme der Schule durch die Deutsche Selbstverwaltung Agendorf so.  Die Unabhängigkeit vom Riesenapparat der staatlichen Schulverwaltung (KLIK=Klebelsberg-Zentrum) wirkte sich jedoch vorteilhaft aus. Den größten Gewinn verdankt die Gemeinde den erfolgreichen Förderungsanträgen (Ministerium für Humanressourcen 500 Millionen HUF., LdU 250 Millionen HUF + 65 Millionen HUF + 100 Millionen HUF, etwa 2,6 Millionen Euro für den Umbau der Schule und die Turnhalle).

Für die demokratisch gewählte Deutsche Selbstverwaltung Agendorf (Abkürzung: DSVA) war es im Vorhinein klar, dass sie auch als Gremium nicht alle Bereiche bei einer so groß angelegten Investition abdecken können würde. Dazu braucht es Experten aus diversen speziellen Branchen.

Ohne ein vollständiges Bild zu bekommen, lässt sich aus den Protokollen der DSVA einiges herauslesen. Vorgeschrieben waren z.B.:

  • Die Erstellung eines Kommunikationsplanes, eines Liquiditätsplanes, des Planes zum Vergabeverfahren,
  • Die Beauftragung von Experten für Marketing und obligatorische Öffentlichkeitsarbeit, eines sog. technischen Prüfers (Architekt, der die Supervision bei allen technischen Schritten und auch juristischen Belangen des Bauvorhabens ausübt.), eines Experten für Vergabewesen.

Für die Expertenposten wurden von der DSVA die entsprechenden Aufforderungen zur Einreichung von Angeboten an Firmen, bzw. Einzelunternehmer in der gesetzlich vorgeschriebenen Anzahl (min. 5 Bewerber pro Expertenstelle) geschickt und im Späteren bewertet, bzw. auch die Aufträge vergeben.

Auch die Umsetzung der einzelnen Meilensteine hat bei Förderprogrammen strenge Kriterien, sogar die Nachhaltigkeit (Aufrechterhaltung des Schülerbestandes mit min. 150 Schülern) steht in den Auflagen.

Was zu der Auflösung des Vertrages mit dem Beratungsbüro Impulzus geführt hat, ist unklar. Ein erfolgreicher Förderantrag war geschrieben worden, das Büro verfügte über entsprechende Erfahrung bei der Abwicklung von Projekten . (Der Beschluss Nr. 32/2017 vom 29.03.2017 über die Beauftragung des Beratungsbüros Impulzus fehlt auf der (leider nur ungarisch-sprachigen) Website von Agendorf (Önkormányzat-Német Nemzetiségi Önkormányzat-Jegyzőkönyvek), seine Außerkraftsetzung wird aber im Beschluss Nr. 3/2019 vom 02.01. bekannt gegeben.)

Nachvollzogen werden kann, dass nach fast zweijähriger Zusammenarbeit mit diesem Beratungsbüro – 28 Tage nach der Kündigung – mit Beschluss Nr. 16/2019 vom 30.01.2019 ein Ausgleichsbetrag von 5 Millionen HUF an das Büro ausbezahlt wurde.

Am 2.01.2019, also in der gleichen Sitzung, in welcher dem Beratungsbüro Impulzus gekündigt wurde, ernannte die DSVA nach der Auswahl das neue, vierköpfige Management. (Dies passierte nach der Auswahl in einem Verfahren, bei dem – den gesetzlichen Vorschriften gemäß – 5 Personen je Managerposten zwecks Angebotslegung angeschrieben worden waren. Beschluss Nr. 130/2018 vom 04.12.2018)

Die Bauarbeiten sollten ursprünglich im Mai 2019 beginnen, aus diesem Grund wurde der Schulbesuch der Kinder umstrukturiert: Im zweiten Semester wurden die Schüler des Öfteren auch samstags unterrichtet, als Ausgleich hätten  die Ferien früher beginnen können und das Schulgelände wäre dann frei für die Arbeiten gewesen. Allerdings konnte dieser Zeitplan ohne ein Vergabeverfahren nicht eingehalten werden.

Bei Investitionen dieser Größenordnung ist ein Vergabeverfahren Pflicht. Die zu erfüllenden Kriterien sind von kleinen Firmen kaum zu bewältigen. Der administrative Aufwand ist enorm hoch, um alle Bewerbungsunterlagen bis ins Detail genau präsentieren zu können, brauchen Unternehmen mehrere Experten, die Auflagen sind nicht nur für das gesamte Projekt, sondern auch für die Bauunternehmen äußerst kompliziert. Wer schon an EU-Projekten beteiligt war, kennt das sicher. Und hier geht es ja um Gelder aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Behördenwege, Fristen, Erfüllung der Kriterien werden durch die zweifache Kontrolle- die des ungarischen Staatsapparates und jene der EU - sicher nicht erleichtert. Ohne einen Generalunternehmer, dem auch für die Abwicklung von Geschäften dieses Volumens ein Riesenapparat zur Verfügung steht, kann weder das Vergabeverfahren erfolgreich sein, noch  das Bauvorhaben und letztendlich das Bau-Projekt. Zahlreiche Kontrollbehörden – bis hin zum Europäischen Rechnungshof, der sogar die Nachhaltigkeit überprüft – sollen gewährleisten, dass alle Regelungen eingehalten werden.

Das Vergabeverfahren wurde dann – wahrscheinlich erst Ende Mai – eingeleitet und verlief schließlich ohne Erfolg. Die Bekanntgabe im Közbeszerzési Értesitö (Amtsblatt des Vergabewesens) erfolgte am 28.08.2019. Es vergingen 3 Monate, was bei einem solchen Vergabeverfahren,  bei dem die Möglichkeit zur Klärung von Fragen seitens der Bauunternehmen mit bestimmten Fristen gewährleistet werden muss, als normaler Ablauf zu bezeichnen ist.

(Es bewarben sich zwei von den drei eingeladenen Bauunternehmen, die Angebote in Höhe von 895.516.165,00 HUF und 827.972.000,00 HUF waren beide zu hoch, auch das billigere Angebot war um 100.000.000,00 HUF höher als die bei der Ausschreibung von den Experten veranschlagten Gesamtkosten /offizieller Schätzwert/ des Bauvorhabens.)

Die Schüler und deren Familien mussten sich während dieser Zeit umorganisieren, da sie ja nun zusätzlich am Samstag zur Schule gingen und die Wochenenden nicht mehr verplanen konnten - im Nachhinein eine Maßnahme, die unnötig war.

Im August 2019 wurde es langsam eng, denn die Kommunalwahlen am 13. Oktober, sowohl für die Gemeindeselbstverwaltung als auch für die DSVA, rückten immer näher. Verständlich, dass sich auf Projektebene eine Zeit lang nichts bewegte.Wahlergebnis der Gemeinderatswahl 2019 (Quelle: Agfalva Kronika Nov. 2019).

Die Bürgermeisterin von Agendorf wurde im Amt bestätigt und ihr Team in den („großen“) Gemeinderat gewählt, die neue DSVA mit den für Agendorf im Gesetz festgelegten fünf Mitgliedern besetzt, die die meisten Stimmen der Nationalitäten-Wähler erhalten hatten. Der frühere Vorsitzende wurde nicht wiedergewählt. Drei Personen aus der „alten“ DSVA und zwei neue Personen bildeten also das Gremium, das seinen Eid ablegte, die Vorsitzende samt Stellvertreterin wählte und dann alle Geschäfte übernahm.

Mittlerweile wurde immer klarer, dass sich auch mit dem zweiten Management Probleme abzeichneten.

Weiterlesen in Teil 4: Kündigungen - Baustelle - Neuanfang? (Onlinestart: 11. September 2020)

 

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