"Es gibt nur ein Wandorf." Dies pflegte der wiederkehrende Schlußsatz der Wandorfer Ureinwohner zu sein, wenn sie von Wandorf sprachen. Die Liebe zur Heimat spricht aus diesen Worten. Fremde blicken oft geringschätzig auf das ärmliche Dorf mit seinen engen Höfen, doch die Eingeborenen lieben diese kleinen Hauser, die sich im Tal und an die Hügelabhänge anschmiegen, und die sie oft durch ihrer Hände Arbeit geschaffen haben. Sie lieben auch die herrliche Umgebung Wandorfs. Nicht nur des trockenen Holzes, der Pilze und Beeren wegen gehen sie in die Wälder, sogar die alten Frauen zieht es dort hin, um gute Luft zu schöpfen und den Vogelsang zu genießen. Wenn Wandorfer in stiefmütterlichen Zeiten gezwungen waren in der Fremde ihren Unterhalt zu verdienen, so kamen sie, wenn irgendwie möglich, zurück, denn "Es gibt ja nur ein Wandorf."


Dieser Ausspruch ist jedoch nicht nur gefühlsbetont wahr. Wandorf ist in der Tat ein Unikum. Dies bezieht sich besonders auf die Zeiten vor der Aussiedlung. Man konnte Wandorf nicht einfach einschachteln. Kein Dorf mehr, aber noch keine Stadt. Bewohnt von einem Arbeitervolk ohne Führungsschicht. Die natürliche Vermehrung beträgt das Doppelte, die Bevölkerungsdichte das Siebenfache des Landesdurchschnitts. Bevölkert von einem unglaublich vitalen, zwischen extremistischen Gegensätzen lebenden Volk: Wohlstand und unvorstellbares Elend; Trunksucht und beispielhafte Nüchternheit; fleißige, geschulte, intelligente Arbeiter und Herumtreiber leben nebeneinander. Alle sind mit der halben Gemeinde verwandt, doch richtig kennen sie sich trotzdem nicht. Es ist einzigartig sozusagen, daß eine Großgemeinde von 3.600 Seelen bis in die Letzte Zeit weder einen evangelischen noch katholischen Pfarrer hatte.


Wandorf ist ein Unikum. Dies ist auch aus der Geschichte der Gemeinde ersichtlich. Damit sie auch die Außenstehenden begreifen, mußte ich mit der alten Zeit beginnen. Ich stütze mich auf originale Quellen, obwohl ich sie im Allgemeinen nicht zitiere. Die Zeit meines Wirkens beschrieb ich aus der Erinnerung. Ich konnte nicht objektiv sein, wo ich doch zum größten Teil mein elf Jahre andauerndes Ringen mit dieser eigenartigen Gemeinde beschreiben mußte. Manchmal ärgerte ich mich über sie und hielt die Lage für unerträglich. Heute liebe ich besorgt diese Gemeinde, öfters noch verwundert über ihr Unikumwesen, und staunend kann ich mit einer verständnisvollen Liebe sagen: "Es gibt nur ein Wandorf."

Wandorf, im Oktober 1950

Karl Pröhle,
Pfarrer


Quelle: Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Wandorf
Prof. Pröhle (1950), übersetzt aus dem ungarischen von Matthias Ziegler