Der Frühling des Jahres 1946 ist schon längst Vergangenheit - seitdem sind 67 Jahre ins Land gezogen.

Die, die damals noch nicht lebten, kennen die Ereignisse aus den Geschichtsbüchern. Denjenigen, die damals dabei waren, stehen in der Erinnerung an die Ereignisse heute noch die Tränen in den Augen. Kein Wunder dass die damals erlittenen Wunden noch heute lebhaft sind. Allerdings sind nur noch wenige der Augenzeugen unter uns, diese Generation verlässt uns langsam und still.

Die betroffenen Nachkommen leben aber noch heute zahlreich unter uns. Betroffene Familien -und während der Vertreibung- zerrissene Familien. In Ungarn gebliebene Familien, mit deutschen Wurzeln und Traditionen, die in seltenen Fällen aufrechterhalten wurden - meistens jedoch nicht. Vergessen dürfen wir nicht, dass die Zuhause Gebliebenen wegen der vorherrschenden Stimmung nur im Geheimen, innerhalb der vier Wände, ihre Nationalität zu leben wagten.

Tatsache war, dass es „heimliche Identitäten" gab, so sagen wir oft: laut der ersten offiziellen ungarischen Statistik 1850 waren 97% der Stadtbevölkerung deutsch. Hundert Jahre später, 1949 nurmehr 3,6%. Klassische Karpaten-Becken-Tragödie, sö könnten wir behaupten. Das ist zwar richtig, aber diese Tragödie geschah in unserer Stadt, mit unseren Verwandten.

Zwischen Ende April und Mitte Mai 1946 mussten mehrere Tausend Ödenburger ihre Heimat, das Land ihrer Vorfahrenen verlassen. Ihre Treue bei der Volksabstimmung 1921 zählte nicht, ebensowenig ihr Fleiss und ihr Wissen. Das in Trümmern liegende Ungarn verzichtete - nach der Deportation der Juden 1944 - erneut auf seine Staatsbürger. Obwohl in Potsdam von den Grossmächten die obligatorische Vertreibung der Deutschen aus Ungarn nicht verordnet wurde, besonders nicht bezogen auf das ganze Ungarndeutschtum, dachten die Grossmächte, dass die nationale Homogenität zur Stabilität der Region beitragen würde. Und diese Bestrebung fiel mit dem Willen der ungarischen Regierung und mit der Mehrheit der ungarischen Parteien zusammen.
Die Vertriebenen hinterliessen alles, was ihnen die Heimat bedeutete: Acker, Weingarten, Haus, Tiere, Werkzeuge, Kirche und Friedhof. Sie durften 20 kg Gepäck mit sich nehmen. Was kann man aus dem Werk eines Lebens in so ein Gepäck einpacken? Die Frage an sich ist dumm und schrecklich. Ich weiss nicht wohin ich fahre, ob ich Obdach bekomme, ob ich Brot in meiner Hand halten kann... 20 kg sind so erbärmlich wenig.

vertr 09Im Frühling 1946 hat sich in der Stadt endgültig etwas verändert. Ein Riss kam in die Geschichte, diesen Riss symbolisiert auch das Denkmal hinter mir. Die Stadt war zu dieser Zeit seit 600–700 Jahren eine deutschsprachige Stadt mit mehrheitlich deutschen Einwohnern, die zugleich das östliche Ende des geschlossenen deutschen Sprachraumes bildete. In diesem Jahr wurde Ödenburg zu einer beinahe rein ungarischen Stadt. Schon bald nach der Vertreibung konnte man aber auch solche Töne hören: „als die Ponzichter noch hier waren, war alles anders".

Aber nicht nur das Nationalitätenverhältnis veränderte sich, sondern auch die Religionszusammensetzung. Die Deutschen waren vor allem evangelisch, die ungarische Ansiedler typisch katholisch. So konnte es vorkommen, -wir stehen neben der drittgrössten evangelischen Kirche Ungarns- dass diese Kirche während der Gottesdienste nie voll wurde, weil die Gläubigen und ihre Nachkommen nicht mehr in dieser Stadt lebten.

Flucht und Vertreibung am Ende des zweiten Weltkrieges und nachhher. Noch heute ist es das grösste Trauma der Deutschen und der Ungarndeutschen. Genau so ein Trauma, wie dies der Teil der Völkerwanderung im 20. Jahrhundert war, wo auch andere Völker wie –Ungarn, Slowaken und Polen – betroffen waren. Diese Völkerwanderung, deren theoretischer Grund aus dem Streben nach homogenen Nationalstaaten stand, wich von den früheren Völkerwanderungszeiten komplett ab, da sie in diesem Fall in unglaugblich kurzer Zeit und gewaltsam durchgeführt wurde. Dadurch mussten Millionen von Menschen einen Platz finden, alles zurücklassen, von vorne in der neuen Heimat anfangen. Mehrere Tausend Ödenburger waren gezwungen, eine neue Heimat im ihnen fremden und in Trümmern liegenden Deutschland zu finden.

Die Bundesrepublik hat damit eine große, wahrlich historische Leistung erbracht: die Integration von weit mehr als zehn Millionen Menschen aus Ost-Europa! An dieser Leistung hatten die Vertriebenen selbst den größten Anteil – durch ihren Fleiß, ihre Integrationsbereitschaft, ihr politisches Engagement und auch ihre Organisationskraft.

Zum Schluss gebe ich das Wort dem Augenzeugen, Herrn Pfarrer Ludwig Ziermann, der über die Stimmung bei der Vertreibung sagte:
„Die meisten weinten, es gab solche, die verbittert lächelten. Einige beteten und baten uns, mit ihnen zu gehen. Es gab solche, die uns von Waggon zu Waggon begleiteten. Einige baten uns, etwas zu unternehmen, damit sie zurückkehren dürfen. Einige tranken bereits viel von dem mitgebrachten Wein. Manche fragten uns: sind wir wirklich so große Verbrecher, dass man uns aus unserer Heimat verjagen muss? Einige Männer zeigten uns ihre verhornten Handflächen und die in den beiden Weltkriegen zugefügten Narben, sie zeigten uns ihre verletzten Hände und Füße, die sie bei der Verteidigung der Heimat erlitten hatten. Was wird das Schicksal unserer schönen Kirche, die noch von unseren Vätern erbaut worden war, fragten Hunderte von Menschen. Denken Sie an uns, beten Sie für uns, vergessen Sie uns nicht."

Wir können nur hoffen, dass die Kinder und Enkelkinder der Vertriebenen, falls sie das noch nicht getan haben, Ödenburg besuchen, für eine kurze Zeit vor diesem Denkmal stehen bleiben und dass ihnen bewusst wird, dass einst diese Stadt die Heimat ihrer Vorfahren war. Wir hoffen, dass für die Generationen in Deutschland Ödenburg nicht nur zu einem touristischen Ziel wird.

Dr. András Krisch, Stadtarchivar in Ödenburg im Mai 2013