„Die Stadt (Ödenburg) ... behielt ihren deutschsprachigen Charakter bis zum zweiten Weltkrieg ...unabhängig von allen Umwälzungen im kulturellen Leben des Königreiches Ungarn sprach die Ödenburger Bevölkerung weiterhin deutsch. Sie mögen vielleicht in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts das ungarische Theater besucht und ungarische Literatur gelesen haben, gründeten jedoch deutschsprachige Vereine und informierten sich im Bereich der Wirtschaft und Politik aus deutschsprachigen Zeitungen ...“ (41)Quelle/Hinweis:
Boronkai, Szábolcs: Bedeutungsverlust und Identitätskrise. Ödenburgs deutschsprachige Literatur und Kultur im 19. Jahrhundert. Wechselwirkungen 2. Bern 2000

Langsam begann sich allerdings die Bevölkerungsstruktur der Stadt zu ändern. 1782 hatte die Stadt 12 242 Einwohner, 1804: 11 384, 1850: 16 726, 1910: 33 932. Die Einwohnerzahl verdoppelte sich also im Verlauf des 19. Jahrhunderts. Gemessen an anderen Städten, die in der Zeit der Industrialisierung geradezu explodierten, war dies ein bescheidener Zuwachs. Er reichte aber aus, um die Gewichte in der Zusammensetzung der Stadtbevölkerung erheblich zu verschieben. Die Einwohnerschaft wuchs durch Zuwanderung. Und diese Zuwanderer kamen in der zweiten Jahrhunderthälfte nicht mehr überwiegend aus dem Westen, aus dem deutschen Westungarn und aus Österreich, sondern aus den ländlichen Regionen Ungarns. Die Zuwanderer sprachen mehrheitlich magyarisch und sie waren überwiegend katholisch. Die ethnische Zugehörigkeit kann nur geschätzt werden: Um 1850 betrug der Anteil der Magyaren etwa 4%, bis 1880 war er schon auf 20% angestiegen, der Anteil der Deutschödenburger lag in diesem Jahr noch bei 70,4%. Die ungarische Sprache beherrschten um 1880 42,3% der Bevölkerung. 1848 waren 58,7% Katholiken, 40,4% Evangelische und 0,9 % gehörten anderen Konfessionen an. Juden durften sich erst ab 1840 in der Stadt niederlassen. Der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung war also Mitte des Jahrhunderts noch klein. Der Anteil der Evangelischen nahm in der zweiten Jahrhunderthälfte stark ab. 1869 betrug er 35%, 1880 nur mehr 29%.

Jahr 1849 hatte für die Bevölkerungsstruktur schwerwiegende Folgen. Im Zuge der Neuorganisation Ungarns nach dem Zusammenbruch der Revolution wurde Ödenburg Distriktshauptstadt und Zentrum mehrerer westungarischer Komitate. Es entstanden mehr als 30 neue Ämter in der Stadt, zahlreiche neue Gebäude wurden errichtet, zumeist von der Architektendynastie Handler. Diese neue Verwaltungsfunktion hatte den Zuzug von vielen hundert, zumeist ungarischsprachigen Beamten zur Folge. Zusammen mit den Lehrern der vielen Unterrichtsanstalten stellten diese Beamten eine neue Mittel- und Oberschicht, die nicht mehr bereit war, die Dominanz des deutschen Wirtschaftsbürgertums in der politischen und kulturellen Führung der Stadt zu akzeptieren.

Das alteingesessene Wirtschaftsbürgertum, durch seine deutsch-evangelische Kultur geprägt, wurde zumindest zahlenmäßig in den Hintergrund gedrängt. Es verlor aber nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich an Bedeutung. Allerdings war um 1850 noch immer ein Drittel der Stadtbevölkerung in der Landwirtschaft, also vor allem im Weinbau, tätig. Mit dem Niedergang des Weinbaues gegen die Jahrhundertwende verloren sie auch ihre ökonomische Basis. Parallel dazu wurde auch das alteingesessene Handwerk, das vielfach den Weinbau ergänzte, durch die beginnende Massenproduktion an Industriewaren in den Hintergrund gedrängt.

In der ersten Jahrhunderthälfte waren es zunächst neue Gruppen von bürgerlichen Zuwanderern aus Österreich, die im Wirtschaftsleben der Stadt, besonders im Handel mit Agrarprodukten (Wein, Schweine, Getreide) die Führung übernahmen und bis weit in die zweite Jahrhunderthälfte die Stadt prägten. Neben einigen wenigen Großgrundbesitzern wie etwa dem Grafen Stefan Szechenyi waren es die Flandorfer, Pfeiffer, Russ, Lenck, Bauer, Hauer, alle niederösterreichischer Herkunft, die das Wirtschaftsleben beherrschten und auch Versuche unternahmen, die wirtschaftliche Bedeutung der Stadt zu heben. Diese Familien, zum Teil geadelt und zu Grundbesitzern geworden und zum Teil auch „magyarischer Gesinnung“, fand den Anschluss an die neue nationale Oberschicht. Von dieser Gruppe reicher Großhändler gingen die wichtigsten wirtschaftlichen Impulse für die Entwicklung der Stadt in der zweiten Jahrhunderthälfte aus.

Es war vor allem der Großhandel mit Schweinen aus Slawonien und der Weinhandel, der diese Familien reich machte. Insgesamt 27 Schweinehändler aus Waidhofen an der Thaya ließen sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Ödenburg nieder und erwarben mit dem Kauf von Häusern das Bürgerrecht. Mit zunehmendem Wohlstand erlangten die auch verwandtschaftlich miteinander verbundenen Familien immer mehr Einfluss im Stadtrat. Die Schweine wurden in Slawonien gekauft und dann in großen Herden über Nagyksnisza über Ödenburg nach Wien, Prag oder Linz getrieben - bis der Eisenbahntransport möglich wurde. Neben Köbanya bei Budapest war Ödenburg der größte Schweinemarkt Europas: 1838 wurden 90 000, 1881 610 000 Schweine auf dem Ödenburger Markt verkauft. Dann allerdings wurde der Schweinemarkt nach Wiener Neustadt verlegt und schon 1883 betrug die Zahl der verkauften Tiere nur mehr 20 000. Bis 1910 lag die durchschnittliche Zahl der jährlich verkauften Tiere bei 54 000. Der Grund für die Verlegung des Marktes war die Konkurrenz zwischen der Südbahngesellschaft und der Raaber Bahn.