Die Inbesitznahme des pannonischen Beckens durch die aus Asien stammenden finnougrischen Magyaren („Landnahme“) ist ein bis heute in der Geschichtsforschung umstrittener Vorgang. Vor allem die Zahl der Magyaren und die Intensität der Durchdringung des riesigen Raumes, der später zum ungarischen Staat gehörte, waren und sind Gegenstand des nationalen Selbstverständnisses. Die magyarische Darstellung dieser Ereignisse und deren Sicht in der übrigen europäischen, insbesondere der deutschen Geschichtsschreibung, sind naturgemäß recht unterschiedlich, auch wenn in jüngster Zeit, mit einer neuen, weniger nationalistischen Generation von Historikern eine gewisse Annäherung erfolgte. So wird heute auch von magyarischer Seite zugegeben, dass die Zahl der in das Karpatenbecken kommenden Magyaren gering war. (8)Hinweis/Quelle:
Genetische Untersuchungen in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass von den genetischen Grundlagen her nur ein geringer Prozentsatz der späteren ungarischen Nation östlich-asiatischer Herkunft sein kann. Das heißt, die „ungarische Nation“ ist im Hochmittelalter ein Produkt der Herrschaftsbildung einer kleinen Gruppe von Eroberern über die große Zahl der Ansässigen, die romanischer, germanischer oder awarisch-slawischer „Herkunft“ waren und sehr bald in die neu entstehenden Herrschaftsstrukturen einbezogen wurden. Natürlich soll die abstammungsmäßige, verwandtschaftliche Komponente keineswegs vollkommen geleugnet werden, wie dies die „moderne“ Geschichtsschreibung auch häufig tut. Sie lässt diese Komponente ja oft überhaupt unter den Tisch fallen und erklärt ethnogenetische Prozesse ausschließlich als Produkt von Gefolgschaftswesen und Herrschaftsbildung.

Nach der schweren Niederlage gegen die Deutschen auf dem Lechfeld bei Augsburg (955) erwies sich die alte Lebensweise als wenig zukunftsweisend. Die große Leistung der magyarischen Führungsschichte besteht darin, dass sie die Konsequenzen zog und sich den Verhältnissen im Westen anpasste. Unter Stephan d. Hl. übernahmen sie nicht nur das Christentum, sondern auch westliche Methoden der Kriegsführung und der gesellschaftlichen Organisation. Vom Anfang an waren die Helfer Stephans dabei Menschen aus dem Westen, aus dem deutschen und italienischen Raum. Ab wann die Magyaren das Gebiet um Ödenburg tatsächlich militärisch kontrolliert haben, ist aus den Quellen nicht zu ermitteln.(9)Quelle/Hinweis:
Die ungarische Geschichtsschreibung stellt den Vorgang heute zumeist so dar: 862 wären die Magyaren erstmals als Verbündete des Mährerfürsten Rastislav in das Karolingische Ostland eingefallen und 881 wären sie, zusammen mit den Kabaren, als Verbündete Svatopluks, erneut gekommen. Dabei wird angenommen, dass schon damals die Ödenburger Pforte als Einfallstor diente. Das ist zwar möglich, aber nicht belegbar. Sehr wahrscheinlich ist hingegen, dass jenes magyarische Heer, das 899 als Verbündete Kaiser Arnulfs gegen Berengar nach Italien zog, auf dem Rückmarsch im Juli/August 900 erstmals die Grafschaft Steinamanger durchzog. Aus diesen Ereignissen schließt die ungarische Geschichtsschreibung (etwa Gyömöri, S. 253), dass das Gebiet schwer verwüstet und kaum besiedelt war. Tatsächlich wissen wir aus den Quellen zu den Kämpfen mit den Mährern, dass das Ostland arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. Sicher war das Leben erheblich gestört, die Ödenburger Pforte lag aber doch eher abseits des Hauptgeschehens und eine weitgehende Vernichtung der karolingerzeitlichen Siedlung ist eher unwahrscheinlich. Dagegen spricht auch die starke Kontinuität vieler slawischer wie deutscher Gewässer- und Ortsnamen. Wahrscheinlicher ist hingegen, dass das Gebiet um Ödenburg erst nach der schweren Niederlage des bayerisch - fränkischen Heeres 907 bei Pressburg unter die politisch-militärische Kontrolle der Magyaren kam (siehe dazu vor allem die Arbeit von Agnes Cs. Sós, Die slawische Bevölkerung Westungarns im 9. Jahrhundert. München 1973).
Seit der Arbeit Belitzkys aus dem Jahre 1938 ist es in Ungarn üblich, zahlreiche Ortsnamen auch auf dem Gebiet des Komitats Ödenburg von den „urmagyarischen“ Stammesnamen Megyer, Tarján Nyék und Ker abzuleiten. Ein Teil der modernen ungarischen Geschichtsforschung steht diesen Versuchen eher skeptisch gegenüber oder lehnt sie als unwissenschaftliche Spekulationen überhaupt ab. Andere wieder wärmen sie immer wieder auf und sehen sie als Beweis für eine magyarische Ansiedlung bald nach der „Landnahme“. Es geht dabei um das Problem, wie weit sich die magyarische Besiedlung Pannoniens im 11. und 12. Jahrhundert nach Westen erstreckte. Eine wissenschaftliche Antwort darauf ist nur schwer möglich. Auch die Archäologie kann nur bedingt Auskunft geben, da die materiellen Hinterlassenschaften meist keine Zuordnung zu einem „Volk“ ermöglichen. Es gibt nur wenige Gräber, die man eindeutig einer „östlichen“ Bevölkerung zuordnen kann. Am ehesten trifft dies noch auf die Funde vom Süllyberg bei Csorna, auf die Gräber von Szakony und Veszkény zu. Gerade dieser Befund zeugt aber nicht von einem weiten Vordringen der magyarischen Besiedlung nach Westen. Er widerspricht nicht der Annahme, dass die magyarische Siedlung an der Raab endete. Denn Szakony liegt im Bereich von Kapuvar, einem der „Landestore“ an der inneren Grenzverteidigungszone und Veszkény im Bereich von Lutzmannsburg, das eine ähnliche Funktion hatte.
Einige Hinweise auf eine frühe Stationierung von Magyaren wurden in Kapuvar gefunden: eine Silbermünze des Königs Berengar aus Italien (von einem der Kriegs- bzw. Raubzüge stammend) und ein Gefäß mit waagrecht geripptem Hals, von dem man annimmt, dass es östlicher Herkunft ist.
Das von den Magyaren errichtete Grenzsicherungssystem (Gyepü) zwischen Raab und Wienerwald, in dessen Bereich auch die besonders wichtige Ödenburger Pforte lag, hat im Laufe der Zeit zwischen der „Landnahme“ und der Festigung eines magyarischen Staatswesens zur Zeit Stephans, also im Verlauf von etwa hundert Jahren, natürlich manche Veränderungen durchgemacht. Anfangs werden es wohl kaum mehr als vorgeschobene Beobachter- und Wächterposten gewesen sein. Erst nach der Niederlage auf dem Lechfeld kamen Schanzen und Wälle am inneren Rand des Grenzgürtels hinzu, dort, wo die wichtigsten Heerstraßen aus dem Westen in das magyarische Kerngebiet führten. (10)Quelle/Hinweis:
Heute werden die Schanzanlagen etwa bei Vasvar (Eisenburg) und Kapuvar (=Torstadt!) und Babot mit der beginnenden bayerischen Ostexpansion und der Entstehung des Herzogtums Karantanien in Verbindung gebracht. In der Nähe von Babot gibt es einen künstlich aufgeschütteten Damm. Er diente vermutlich zur Überflutung des „Baboter Tores“. Ihn gab es vermutlich schon Mitte des 9. Jahrhunderts. Darauf weist ein Bericht über den Angriff Kaiser Heinrichs III. hin. Dieser wäre, mit dem ungarischen König Peter Orseolo im Gefolge, bei Supronium in das Land eingedrungen und hätte bei Babuth die Rabnitz überschritten. Dabei seien – offenbar wegen der Überflutung des Tales – Schwierigkeiten aufgetreten und erst nach längerer Suche habe man eine Furt gefunden. Einige Jahre später, 1074, ist in der Ungarischen Bilderchronik des Simon Kéza wieder von den Grenzbefestigungen die Rede. König Salomon zog sich nach seiner Niederlage nach „Mosun“ (Wieselburg, Moson) und „Posun“ (Preßburg) zurück. Seine Gegner, die Fürsten Geyza und László, besetzten Alba (Stuhlweißenburg, Szekesfehervár), Castrum Porte (Kapuvár) und Bobuth (Babót). Die kleine arpadenzeitliche Burg bei Babót (51 mal 44 m, mit einer 2 m breiten Ziegelmauer und einem Turm) stammt wahrscheinlich erst aus späterer Zeit, war aber noch im 13. Jahrhundert in Verwendung.
Erst im 11. Jahrhundert wurden dann die alten Befestigungsanlagen, die aus der Kelten-, Römer- und Völkerwanderungszeit stammten, erneuert. Sie dienten durchwegs der Sicherung der Einfallspforten. Es entstanden die von den Archäologen in jüngster Zeit sorgfältig untersuchten „Roten Schanzen“: Die Anlage von Burg sicherte das Pinkatal, Lutzmannsburg das Rabnitztal und Draßburg/Ödenburg die Ödenburger Pforte. Im Donaubereich waren es Wieselburg, Preßburg und Raab. Es waren dies relativ primitive Holz- Erde-Konstruktionen, die damals errichtet wurden. (11)Quelle/Hinweis:
Lutzmannsburg war eine Grenzburg am Hochufer der Rabnitz. Heute ist nur mehr ein kleiner Teil der Wallanlage (Durchmesser 160 m) im Gelände sichtbar, der grüßte Teil wurde bei der Anlegung des Friedhofes abgetragen. Auch hier benützten die Magyaren eine schon in der Römerzeit bestehende Anlage. Die Dekanatskirche in der Mitte der Anlage wurde zum Teil aus römischem Material erbaut. An bedeutenden Einzelfunden sind ein halbmondförmiges, mit Email ausgelegtes Ohrgehänge (von Karl Kaus der karantanischen Köttlach-Kultur im ausgehenden 9. oder beginnenden 10. Jahrhundert zugeordnet) und im Jahre 1983 ein Schwert aus dem 11. Jahrhundert (Pilzknaufschwert westlicher Herkunft) aufgetaucht. Auch die magyarische Schanze von Lutzmannsburg wurde im 11. Jahrhundert gebaut und im 12. oder 13. Jahrhundert mit dem Ende der Lutzmannsburger Gespanschaft (Grafschaft) aufgegeben. Der Ort Lutzmannsburg wird erstmals 1156 urkundlich erwähnt. 1283 gibt König Bela IV. seinem Getreuen Lorenz, Gespan von Ödenburg, das gesamte Komitat Luchman mit der Landseer Burg. Die Schanze auf dem Draßburger Taborac dürfte – im Gegensatz zu der Anlage in Ödenburg – realiv klein und einfach gewesen sein – der Funktion des Ortes als „Vorburg“ entsprechend. Die Altersbestimmung weist eindeutig in das 11. Jahrhundert. Man vermutet heute, dass die Schanze 1044, während des Feldzuges Kaiser Heinrichs III., niedergebrannt wurde. Damals wurde vermutlich auch der „Silberschatz von Draßburg“ versteckt. Er ist „östlicher“ Herkunft und könnte der Frau des mayarischen oder petschenegischen „Schanzenkommandanten“ gehört haben.

Es ist eine bis heute deutlich an der Stadtmauer ablesbare Tatsache, dass die römischen Mauern von Scarabantia die Völkerwanderungszeit, die Awaren- und Karolingerzeit und auch noch die Besetzung durch die Magyaren überdauerten. Die Ödenburger „Burg“, also die Innenstadt, die Stadt innerhalb der römischen Stadtmauern, war, wenn man vom derzeitigen archäologischen Befund ausgeht, bis zum Abzug der Langobarden nach Italien im Jahre 568 bewohnt, dürfte dann in der Awarenzeit als Festung an Bedeutung verloren haben (auch awarenzeitliche Funde fehlen weitgehend in der Innenstadt) und in der Karolingerzeit schließlich kaum Bedeutung erlangt haben, da die Stadt weder Grafschafts- noch Bischofssitz war und eine militärische Bedrohung bis zum Beginn der Einfälle der Mährer nicht bestand.

Dass die Anlage angesichts ihrer römischen Mauern und Baureste weiterhin als Stadt, wenn auch als „öde“ Stadt gesehen wurde, beweist ihre Erwähnung in der berühmten Urkunde Ludwigs des Deutschen 867 unter dem Namen Odinburch. All das heißt jedoch nicht, dass die Stadt und ihr Umland siedlungs- und menschenleer waren. Vieles spricht sogar für eine im Frühmittelalter ungewöhnlich dichte Besiedlung.(12)Quelle/Hinweis:
Neben archäologisch noch nicht identifizierten, in Flurnamen aber durchaus fassbaren fortlebenden romanischen und germanischen Gruppen – die ja auch nachweislich an anderen Stellen die Awarenherrschaft überdauerten – gab es in der näheren und weiteren Umgebung slawische, awarische und bald auch baierisch - fränkische Siedlungen, darunter das auch archäologisch bestätigte fränkische Dorf auf den Krautäckern, also unmittelbar vor den Stadt (Burg-) mauern. Durch die Ausgrabungen der vergangenen Jahrzehnte häuften sich die Belege für eine dörflich-bäuerliche Siedlung vor der magyarischen Eroberung und anscheinend auch noch danach im Umkreis der Stadt. Die Archäologen haben im nähren Umkreis der Stadt folgende dörfliche Siedlungen ergraben: Eine Siedlung am St. Michaelsberg an der Preßburger Straße, eine am Kornmarkt/Ògabona ter, eine dritte am Széchenyi-Platz – also alle drei unmittelbar vor der Stadtmauer, dazu die wahrscheinlich relativ große Siedlung auf den Krautäckern (im heutigen Stadtteil Jereván), in Wandorf, in Steinabrückl (Köhida). Dazu kommen die Ausgrabungen in Kroisbach und die besonders zahlreichen Siedlungsfunde im Bereich Fertöszentmiklos und Petöhaza. Auch immer mehr materielle Hinterlassenschaften, die Grundrisse von Häusern, Abfallgruben, bäuerliche Gerätschaften (Pflugeisen aus Ödenburg, eine Sichel aus der Wandorfer Straße, Handmühlsteine, ein Hohleisen zur Holzbearbeitung ...) und viele Tonscherben tauchten auf. In vielen Fällen ist die Datierung ins 9. Jahrhundert gegeben und vor allem die Keramikfunde und die Tradition der Keramikherstellung bringen den endgültigen Beweis, dass es eine Kontinuität gab. Eine relativ dichte einheimische Bevölkerung lebte also über die ungarische Landnahme hinaus in der Umgebung der Stadt. Es gibt keine Hinweise auf Zerstörung, keine Brandspuren. Die Magyaren haben die Bevölkerung also weder ausgerottet noch vertrieben. Das wird einem nicht zuletzt klar, wenn man die Befestigungsanlagen der magyarischen Besatzung der Ödenburger Burgstadt betrachtet. Es müssen tausende Arbeitskräfte zur Verfügung gestanden haben.

Die römischen Mauern bildeten die Basis für die Holz-Erde-Schanzen, die die Magyaren errichteten, um die weit nach Westen vorgeschobene Grenzburg und Zentrum eines der Grenzkomitate zu sichern. Wann dies geschah ist freilich schwer zu sagen. Mit größter Wahrscheinlichkeit geschah dies keineswegs nach der Landnahme, sondern erst im 11. Jahrhundert, als man mit Angriffen aus dem Westen rechnen musste. Die Magyaren beanspruchten zwar die Grenzzone zwischen Raab und Enns politisch, waren aber angesichts ihrer geringen Zahl wohl kaum in der Lage, diese auch dauerhaft zu besiedeln.

Aus dem 10. Jahrhundert, aus dem ersten „magyarischen“ Jahrhundert nach der Landnahme, sind aus der Innenstadt ebenfalls keine Funde bekannt, die auf eine Nutzung der „Burg“ hindeuten. Frühestens in den ersten Jahren der Regierungszeit König Stefans, also Anfang des 11. Jahrhunderts, dürfte der Auftrag zum Ausbau der Burg erfolgt sein, also erst in einer Zeit, als sich der ungarische Staat zu konsolidieren begann. Archäologisch ist dies in der Errichtung der „roten Schanzen“ von Ödenburg greifbar, die neuerdings mit großem Aufwand erforscht und auch teilweise rekonstruiert wurden – auch als augenscheinlicher Beweis dafür, dass das mittelalterliche Ödenburg auch eine „magyarische“ Vergangenheit hatte, wenn diese auch nur kurze Zeit gedauert hat.