In eine neue und sehr interessante Phase trat Scarabantia zu Beginn des 4. Jahrhunderts ein, zu einer Zeit, als die Städte an der Grenze bereits im Niedergang begriffen waren. Offenbar spielte die Stadt als militärischer Etappenort und als Handelsort eine wichtige Rolle. Sie lag an der damals immer wichtiger werdenden Nordwest – Südost – Querverbindung, die von Vindobona (Wien) über Savaria und von dort weiter nach Sopianae (Fünfkirchen, Pécs) und nach Sirmium führte. Die Stadt blühte in dieser Zeit erneut auf. Die Stadtmauer wurde erneuert, alte Gebäude erweitert und zahlreiche neue Gebäude errichtet. Einzelfunde weisen auf einen beträchtlichen Wohlstand in der Stadt hin. Aus dieser Zeit stammt auch ein neues großes Gräberfeld an der Bernsteinstraße. Die Grabbeigaben lassen vereinzelt auf eine christliche Gemeinde schließen.

 

Die Notitia Dignitarum, eine Art römischer Amtskalender, erwähnt um 380 einen Tribunus Cohortis Caratensis. Es wird angenommen, dass hier ein Schreibfehler vorliegt und eigentlich Scarabantia gemeint ist. Das bedeutet, dass um diese Zeit eine kleine Militäreinheit in Scarabantia stationiert war. Dies war auch ratsam, denn vor allem nach der Schlacht von Adrianopel im Jahre 378 begannen für Pannonien wieder sehr unruhige Zeiten. Es gibt Hinweise, dass auch Scarabantia von der gotisch – hunnisch – alanischen Völkerkonföderation, deren Reitertrupps damals weit nach Westen vordrangen, angegriffen wurde. Nahezu alle Basteien wurden in dieser Zeit beschädigt und das nördliche Stadttor wurde zerstört. Eine Schicht aus Schlamm und Erde breitete sich etwa über das Pflaster des Forums. Die Stadt scheint also einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in einem eher schlechten Zustand gewesen zu sein. Die Lebensbeschreibung des Heiligen Quirinus berichtet, dass im Jahre 405 ein Teil der römischen Bevölkerung von Savaria nach Italien abzog und dass sich ihnen auch Bewohner Scarabantias angeschlossen hätten. Man kann vermuten, dass vor allem die reicheren Familien, denen es in Pannonien zu gefährlich wurde und die sich mit der Primitivisierung des Lebensstils nicht abfinden konnten, die desolate Stadt verließen. In dieser Zeit kommt es erneut zur Ansiedlung von Germanen. 396 erhalten die Markomannen der Königin Fritigil, eine bereits christianisierte Gruppe dieses Volkes, Wohnsitze am Leithagebirge und Neusiedler See und wahrscheinlich auch in Scarabantia. Jedenfalls tauchen in den Fundschichten aus dieser Zeit verstärkt Keramiken auf, die für die Germanen charakteristisch sind.
Die Stadt Scarabantia war also in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts nicht im besten Zustand. Viele Gebäude wurden nicht wieder aufgebaut. Das große Juppiter-Heiligtum am Forum wurde zugemauert. Die neu errichteten Gebäude waren keine römischen Steinbauten, sondern Blockhäuser und Fachwerkbauten nach germanischer Sitte, auch innerhalb der Stadtmauern. Der Verfall wurde durch das große Erdbeben von 456 wahrscheinlich noch beschleunigt. Die Archäologen fanden mehrere Hinweise darauf. Der schlechte Zustand der Stadt überrascht wenig, man findet zahlreiche Parallelen in anderen Städten Pannoniens in dieser Zeit.

 

Dann aber, gegen Ende des 5. und zu Beginn des 6. Jahrhunderts, kommt es zu einer Entwicklung, die auch die Archäologen sehr erstaunt hat. Das Festungssystem wurde erneut ausgebessert, die Mauern verstärkt, die Toranlagen wurden umgebaut. Auf den Umgängen an der Innenseite der Mauer wurden zahlreiche Hütten und Werkstätten errichtet. Die Wirtschaft der dicht besiedelten Stadt scheint erneut geblüht zu haben. Besonders überraschend ist, dass nun auch wieder Steinbauten errichtet wurden, mit Ziegeldächern und Heizanlagen. Das ist für Pannonien im 6. Jahrhundert, mitten in der „Völkerwanderungszeit“, überaus erstaunlich. Viele ältere Gebäude wurden nun als Vorratsspeicher genutzt. Der Handel mit Italien scheint noch immer funktioniert zu haben, zahlreiche Importgüter, vor allem Metall- und Glaswaren, sind nachgewiesen. Die Bevölkerung war anscheinend wohlhabend genug, um sich diese Güter noch leisten zu können. Ein beträchtlicher Teil der Bewohner der Stadt und des Umlandes waren in dieser Zeit germanische Heruler (Eruler). Vermutlich war Scarabantia in dieser Zeit das Zentrum ihres Volkes. Ihre reiche Oberschicht konnte sich die Steinhäuser nach römischer Sitte und auch die Luxuswaren leisten. Das beweisen die reich ausgestatten Fürstengräber von Heiligenstein (Hegykö). Sie waren wahrscheinlich für diese außergewöhnliche Spätblüte der städtisch-römischen Kultur in Scarabantia verantwortlich, sie boten vermutlich auch einer größeren Zahl von romanischer Bevölkerung in der Stadt Schutz. Vielleicht kam es sogar zur Umsiedlung romanischer Gruppen aus anderen Städten Pannoniens.

 

In diese Zeit fallen auch deutliche Hinweise auf christliche Gemeinden in Scarabantia. Östlich an die Stadtmauer anschließend wurde eine dreischiffige, 12 m lange Kirche gebaut. Es war dies ein Fachwerkbau auf Steinfundamenten. Scarabantia hatte in dieser Zeit auch einen Bischof. 572 und nochmals zwischen 577 und 579 unterschrieb ein Vigilius Scaravaciensis die Abschlussdokumente der Synode von Grado. Beide Synoden waren einberufen worden, um das Problem der Dreifaltigkeit zu diskutieren. In der Forschung ist freilich umstritten, ob Vigilius zu dieser Zeit wirklich noch in Scarabantia wirkte oder ob er mit den Langobarden und Herulern nach Italien abgezogen war.

 

Autor: Michael Floiger