Ich war ein Fremder …

Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen!
so steht es im Matthäusevangelium im 25. Kapitel, Vers 35a.

Als 1946 die ersten Vertriebenen aus Ungarn Schefflenz erreichten, und dann dort erfuhren, dass ihre "Reise" hier zu Ende war, dachten sie wohl an alles andere als an diese Zeilen. Und doch sollte es an ihnen in Erfüllung gehen. Sie bekamen zu Essen, zu trinken, erhielten Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Und so manche die Gefühl, dass vielleicht doch noch alles gut werden würde.

Das war vor nunmehr 62 Jahren. 
 

Wenn man heute durch die Ortsteile Ober-, Mittel- und Unterschefflenz fährt oder geht, kann man sich von einer blühenden Kleinstadt bezaubern lassen. Ansprechende Ortsbilder, schmucke Häuser und ein gesunder Wohlstand sind geradezu augenfällig. Die Menschen sind gastfreundlich, kommen dem Fremden offen und herzlich entgegen – eine Stadt zum Wohlfühlen. Und hier war ich nun drei Tage Gast.

Mit der Delegation aus Agendorf hatte ich Gelegenheit, mitzureisen. Auf Einladung von Peter Fox, Karl Eller und Jürgen Bürklen, die ich in Agendorf kennen und schätzen lernte.

Wir fuhren um 4 Uhr früh bei strömendem Regen von Agendorf los, hatten trotzdem eine Menge Spaß im Bus und nachmittags um 15 Uhr trafen wir vor dem Feuerwehrhaus in Mittel-Schefflenz ein. Bürgermeister Peter Fox begrüßte uns, bat uns zu einem kleinen Imbiß und bald konnte jeder von uns seine Gastgeber begrüßen. Nachdem wir uns ein wenig erfrischt hatten, saßen wir bald mit Gudrun und Dieter beisammen um uns ein wenig kennen zu lernen. Wir, das waren Sir János, Huszár Gyula und ich. Dann ging es schon um 19 Uhr zur ersten Feier – der Einweihung der Roedderhalle.

 
Samstag war die Feier der 15jährigen Partnerschaft Agendorf-Schefflenz. Und Sonntag die Enthüllung des Denkmals zur Erinnerung an die Vertreibung aus Ungarn. Wir waren also voll im „Feier-Stress“!
 

Ich möchte hier nun ein wenig von meinen Eindrücken, die ich in diesen drei Tagen erfahren durfte, berichten. 

 
Dass es einen Herrn Prof. Dr. Roedder einmal gab, erfuhr ich erstmals hier in Schefflenz. Tief beeindruckt von seinem Wirken hörte ich dem Vortragenden Karl Wilhelm Beichert zu. Das „Roedder-Buch“, welches ich als Geschenk erhielt, wird mich wohl noch viele Tage beschäftigen. Danke, Karl!
 

Die Partnerschaftsfeier am Samstag weckte zwiespältige Gefühle in mir. Ich kenne Agendorf schon einige Jahrzehnte. Ich habe es erlebt, wie dieses Dorf ausgesehen hat in den 70er Jahren. Als ob der Krieg erst Tage zuvor beendet worden wäre. Und dass es lange Jahre so aussah, als ob Agendorf von der Welt vergessen worden war – es wirkte trostlos. Heute wirkt es auf mich wie alle Dörfer, die eine Änderung zum Guten erfahren haben: neu errichtete Häuser, die sich in nichts von unseren hier in Schattendorf unterscheiden, Blumenschmuck, der früher nie vorhanden war – allerdings: die Straßen sind nicht in allem unseren Ansprüchen gerecht, die elektrischen Leitungen, die kreuz und quer über die Straßen von Mast zu Mast gehen, wirken auch noch etwas altertümlich. Aber: Vergessen wir eines nicht! Hier ist so viel zu tun, zu erneuern, neu zu errichten – woher das Geld nehmen? Eine Gemeinde mit Null Industrie, kaum das man Geschäfte antrifft, der Tourismus läuft weit weg an Agendorf vorbei! Bewundernswert, dass es aber immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt. Hier wird ein Platz verschönt, dort beginnt man eine Straße zu sanieren, das Kirchendach der evangelischen Kirche wurde erneuert – es geht aufwärts!

 
Wenn man nun all diese äußerlichen Veränderungen mit Genugtuung zur Kenntnis nimmt – dann frage ich mich: warum will man aber bei Volks-Bräuchen, Veranstaltungen, Verhalten der Menschen noch immer die Art und Weise wie vor 50, 60 Jahren erleben? Es hat sich viel verändert auf der Welt, es wird sich noch viel mehr verändern. Wenn wir es erleben würden, was in 50 Jahren sein wird – wir würden uns nur noch wundern. So sollten wir es auch zur Kenntnis nehmen: das Agendorf von früher, mit seinen Tänzen, Bräuchen und der Art, Feste zu begehen, gibt es heute nicht mehr. Aber die Agendorfer verstehen es noch immer, zu feiern. Sie sind noch immer gastfreundlich, offen den Fremden gegenüber, man fühlt sich wohl in Agendorf.

 

 

Dies alles konnte ich feststellen, als ich mir bei den Veranstaltungen so meine Gedanken machte. Und dass die Einwohner von Schefflenz, egal, ob einstige „Zuagroaste“ oder schon immer Ansässige, alle diese Mentalität besaßen: herzlich, fröhlich und offen für alles und alle. Und heiter und gelassen auch bei widrigen Umständen (Motocross) und fröhlich bei der Arbeit wie die nette Kellnerin Stefanie in der Roedderhalle. Da fühlt man sich wohl, geborgen und ist gerne unter all diesen Menschen.

 
Dass es auch Dinge gibt, die nicht so optimal sind, wie sie sein sollten – das gibt es immer und überall. Aber eine Partnerschaft, die schon 15 Jahre hält, die wird auch die nächsten 15 Jahre und noch viel länger halten. Die jungen Menschen aus Schefflenz, die vor kurzem in Agendorf eine interessante Woche verbrachten, werden wohl noch öfter zu Besuch hier in unserer Region sein. Und dass junge Agendorfer immer wieder an Schefflenz denken werden, bewiesen die mitgereisten vier jungen Mädels, die beim Abschied am Sonntag rotgeweinte Augen hatten. Wir Erwachsenen waren ebenso gerührt und bedauerten es sehr, unsere neu gewonnenen Freunde bzw. die alten liebgewonnenen Freunde wieder verlassen zu müssen.

 

 

Zum Schluß komme ich zu der Erkenntnis: so sollte man sich das Zusammenleben in unserer „neuen“ europäischen Gemeinschaft vorstellen:

 
miteinander zu leben, jedoch die Erinnerung an das Alte, Vergangene nie verlieren.
Damit Böses nie wieder passieren möge und das Gute und Schöne aufrecht erhalten wird!


Danke an alle, Gudrun und Dieter, Karl, Jürgen und Peter, Michael und Stefanie – es war schön bei Euch! Dass ihr sie aufgenommen habt, die fremd waren, ist euch in der Vergangenheit zum Segen geworden und wird es wohl auch in Zukunft sein …

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  Euer

 

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