Konzept der Ansprache von Charlotte Kammer

(Anmerkung: Frau Kammer musste bei ihrer Ansprache von dem hier vorliegenden Konzept abweichen, weil die Glocke nicht installiert werden konnte. Um aber ihre Intension der Glockenspende unverfälschtweiterzugeben, drucken wir ihr Redekonzept in der ursprünglichen Form ab.)

Verehrte Festgäste, hohe Geistlichkeit, tisztelt gyülekezet, kedves testvérek, liebes, kleines, letztes Häuflein Harkauer.

Es war an einem Herbsttag gegen Ende des zweiten Weltkrieges. Schwere Schläge waren zu hören aus der Glockenstube der evangelischen Kirche. Die mittlere Glocke wurde zertrümmert und die Teile vom Turm geworfen. Heute sind wir nun zusammengekommen, um die dafür neu gegossene Glocke zu weihen. Damit wäre das Geläut wieder vollständig, der Dreiklang wieder hergestellt.

 

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Geweiht wird die mittlere Glocke nun schon zum dritten Mal. Zuerst gleich nach dem Turmbau 1886, zum zweiten Mal nach dem ersten Weltkrieg am 22. April 1922 zusammen mit der großen Glocke und jetzt heute am 1. Oktober 2006. Die kleine Glocke ist noch die ursprüngliche und inzwischen nicht mehr vom Turm gekommen.

Glockenweihe ist ein seltenes Fest in der Geschichte einer Kirchgemeinde und Anlass zur Freude. Für solche oder ähnliche Anlässe benutzt man in der Politik immer wieder das Wort "historisch". Weniger für die Glockenweihe und die Einladung nach Deutschkreutz wollen wir es bemühen, als für unsere Zusammensein, das allmählich immer mehr zum Problem und spätestens in 10 bis 15 Jahren nicht mehr möglich sein wird.

So mancher wäre noch mitgekommen, wenn wein Alter es zuließe und manche von uns haben ihre letzten Kräfte zusammengenommen um hier sein zu können und schließlich ist abzusehen, wann kein Harkauer mehr da sein wird.

Vielleicht ist es eines, oder überhaupt das größte, letzte Treffen der Harkauer. Dann werden wir im Dunkel der Zeit verschwunden und nur noch in verstaubten Papieren zu finden sein. Das mag sich rührselig anhören, entspricht aber den Tatsachen. Somit möchte ich dieses Zusammensein als bedeutend und als denkwürdig bezeichnen.

Dank sei allen gesagt, die zu Fest und Glocke beigetragen haben. Vor allem Frau Martha Stinner, die sich voll eingesetzt und all das erledigt hat, was von Harkau aus leichter zu erledigen war; und Hans Feiler für die Spende. Dank auch für die Gastfreundschaft, die uns hier zuteil wird. Nicht zuletzt aber seiner Eminenz dem Herrn Bischof für das Geschenk seines Kommens durch das das Fest an Bedeutung und Glanz gewinnt und die Weihung der Glocke.

Es ist üblich, Glocken mit einem Bibelspruch zu versehen oder einem anderen Sinn- oder Leitspruch. Die große Glocke - in der Tonart f - trägt die Aufschrift: "Eine feste Burg ist unser Gott". Der Glaube ist es, der dies zur Gewissheit werden lässt, denn eine Festung - zu Luthers Zeiten noch der sicherste Ort der Welt - bietet heute bei einem atomaren Supergau keinen Schutz mehr.

Auch die Dörfer, meist von einer Burg weit entfernt, waren - während sich die Stadt hinter seinen Mauern verschanzen konnte - schutzlos plötzlichen Überfällen ausgesetzt. Oft wurde auch Harkau überfallen, beraubt, gebrandschatzt und Menschen ermordet. Allein gelassen in dieser Not blieb ihnen nur noch der Glaube an Gott.

Es kann sich also damals wie heute nur um eine Burgfeste in übertragenem Sinne handeln. Die aber war unseren Vorfahren so wichtig, dass sie es auf ihre Glocke schrieben und auch auf die Brüstung der Empore. Nur der Glaube war auch der Halt, der sie im Protestantismus bestehen ließ.

Eine nicht zu unterschätzende Voraussetzung dafür aber war die Zugehörigkeit als Stadtdorf zu königlichen Freistadt Ödenburg, die selbst dem evangelischem Glauben zugetan war. Diesen Rückhalt hatten unsere burgenländischen Nachbarn nicht, da sie von einem Grundherrn abhängig, keinen Einfluss auf ihre Religionszugehörigkeit hatten. Wie wir Harkauer uns in diesem Falle verhalten hätten, wollen wir dahingestellt sein lassen.

Die Folge dieser Spaltung war, dass man kaum Umgang miteinander hatte, vielleicht sogar eine Art Abneigung - die mehr oder weniger offen ausgetragen - zwischen den katholischen und den lutherischen Dörfern bestand. Man holte sich keinen Ehepartner von drüben, heiratete sich nicht mehr gegenseitig. Letzteres blieb so bis zu unserer Aussiedlung.

Heute hat sich das ausgeglichen, man ist sich in Freundschaft zugetan, wie vermutlich in uralten Zeiten auch. Wir sind toleranter geworden, sind nicht mehr dem Druck ausgesetzt der Gegendruck und Feindseligkeit erzeugt. Deshalb auch lascher im Glauben, weil wir uns nicht mehr behaupten müssen. Die Ernte für den "alt bösen Feind" ist übergegangen von Glaubensfanatismus zu Gleichgültigkeit, zu Abkehr und leeren Kirchen.

Die Standfestigkeit unserer Vorfahren und ihre Verdienste um den evangelischen Glauben soll damit aber nicht geschmälert werden. Sie haben das ihre dazu beigetragen, was durch Luther die Welt verändert hat. Unbeteiligt, stumpf, lau und grau sind sie jedenfalls nicht gewesen und die freiheitlichere, offenere Zeit, die wir heute haben, war für sie noch nicht angebrochen.

Höchstwahrscheinlich wäre es nicht möglich gewesen, unsere neue Glocke von einem Ordensbruder in einem katholischen Benediktinerkloster gießen zu lassen. Noch von manchem alten, in den letzten Jahrzehnten Harkauer wäre das abgelehnt worden. Ich denke aber, dass dem Guss von einer gläubigen, christlichen Hand ein besonderer Segen innewohnt. Soviel zur großen Glocke und ihrem Sinnspruch, mit dem sie dem GLAUBEN zugeordnet werden kann.

Die kleine Glocke - in der Tonart e - hat die Aufschrift "Lasset die Kindlein zu mir kommen". Kinder sind die Zukunft, sind die Hoffnung des Lebens. Diese kleine, die Taufglocke, darf man somit der HOFFNUNG zuschreiben.

Zu Glaube und Hoffnung mahnt uns also das Geläut der großen und kleinen Glocke, fehlt nur noch die mittlere. Die Mitte ist das Symbol für Christus, präsent im Kreuz und deshalb das Symbol des christlichen Glaubens. Das Herz in unserem Zentrum ist das Symbol der Liebe. Christus aber ist in Gott und Gott ist die Liebe. Auch wir, wenn wir in der Liebe sind, sind in Gott und Gott in uns.

Was also könnten wir Besseres tun - zumal die Voraussetzungen dafür sprechen - als unsere neue, mittlere Glocke unter das Motto der LIEBE zu stellen und sie ihrem Schutze anzuvertrauen. Sie allein, im weitesten Sinne kann verhindern, dass sie ein viertes Mal gegossen werden muss, nachdem sie zwei Weltkriege vom Turm geholt haben.

Ein hoher Anspruch, die Liebe. Eine Glocke ist zwar nur ein tönend Erz, soll aber durch seine Stimme von oben, sein Läuten mahnen und erinnern, diesen Anspruch zu bedenken und auf seine Verwirklichung hinzuarbeiten. Denn hätten wir der Liebe nicht, so wären auch wir nur ein tönend Erz oder eine klingende Schelle, wäre unser Wissen ohne Weisheit und Liebe, nur gescheites Gerede.

Die Liebe aber ist nicht beeinflussbar. Sie ist nicht käuflich. Man kann sie auch nicht per Dekret verordnen und sie lässt sich nicht in uns erzwingen. Sie ist ein Geschenk des Himmels. Das was wir darunter verstehen ist allerdings nur ein Teilstück und unverdienter Vorschuss dessen, was Liebe, die alles umspannende, ausmacht. Es ist von da aus noch ein weiter Weg zum "liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst" und sie ist zugleich auch das Gute. Aber dazu braucht es Zeit, viel Zeit, um zu reifen. Ganz langsam und fast unbemerkt, wie die Frucht einer Pflanze in der Spanne unseres Lebens - unserer Leben.

Als Richtschnur ist uns eine Veranlagung zum Guten mitgegeben, ein verstecktes Wissen, das in uns zum Gewissen wird, welches uns das Ziel vorgibt. Der Glaube alttestamentlich abgesteckt durch Gebote und Verbote kann uns dabei Rat und Hilfe auf dem Lebensweg sein.

Es ist wie mit der Erkenntnis, den Geistesblitzen. Nur das, was wir im Ansatz in uns tragen, was bereits in uns schlummert, sich im Laufe der Zeiten entwickelt hat, können wir verstehen, wenn es von Außen an uns herangetragen wird. Wie sagt der Erdgeist, als sich Faust ihm gleichstellen will: "Du gleichst dem Geist, den du begreifst!" Damit mahnt er ihn zur Selbsterkenntnis und verweist ihn auf den Stand seiner Entwicklung.

Knapp und treffend fasst dies Schmolke (Anm. d. Red.: Benjamin Schmolke,*1672, deutscher Kirchenliederdichter) zusammen im vierten Vers von "Tut mir auf die schöne Pforte", allerdings in anderer Reihenfolge:

Mache mich zum guten Lande,
wenn dein Saatkorn in mich fällt;
gib mir Licht in dem Verstande,
und was mir wird vorgestellt,
präge du dem Herzen ein:
lass es mir zur Frucht gedeih'n.

Wir können also nur versuchen, in der Spanne unseres Erdenlebens, diesem Samenkorn der Liebe und der Erkenntnis einen guten Boden zu bereiten, der es wachsen und zur Frucht reifen läst.

Vielleicht hat ja - da man sagt, dass alles zu etwas gut ist, - bei dem einen oder anderen von uns, der Schicksalsschlag der Ausweisung auch zum "guten Lande" beigetragen.

So gesehen - haben wir Glaube, Liebe, Hoffnung für unser Geläut. Die Mittlere, neue Glocke aber ist für uns die bedeutendste, ist die größte unter ihnen, denn sie ist das zur Gestalt gewordene Symbol unseres vergangen Lebens und unserer Vertreibung aus Harkau. Sie ist unsere GEDENKGLOCKE.

Möge ihr ein dritter Sturz vom Turm erspart bleiben. Möge sie für und von Frieden dem Dorfe Läuten. Von Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Liebe aber ist die Größte unter ihnen.

Nachher werden wir unsere neue Glocke das erste Mal läuten hören. Wollen hoffen, dass das Werk den Meister loben wird, der es - auf Wohlklang in C bedacht - gegossen hat.

"Noch dauern wird's in späten Tagen
und rühren vieler Menschen Ohr
und wird mit dem Betrübten klagen
und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
das wechselnde Verhängnis bringt,
das schlägt an die metallne Krone
die es erbaulich weiter klingt." (Schiller)

Anschließend wollen wir - wie nach dem gelungenen Guss - "Großer Gott wir loben dich" singen.

Und nun bitten wir den Herrn Bischof, unsere Glocke zu weihen und um seinen Segen.

Charlotte Kammer, Daisbach, den 28.08.2006

 


Text: C. Kammer