Im Mittelalter war es auch in Ungarn so, daß das Land - um es vereinfacht zu sagen - "der Krone" gehörte. Der König als Träger der Krone, verteilte die Güter an seine Getreuen. War einer rebellisch geworden, lehnte er sich gegen den König, gegen die Zentralgewalt auf, wie z. B. Koppany gegen Stephan d. Heiligen, so wurde er vernichtet - sofern der König die Macht dazu hatte - seine Güter konfisziert und an andere Getreuen des Königs verschenkt. Einer, der an großzügigsten die Königsgüter verschenkte, war König Andreas II., er regierte von 1205 bis 1235. Sein Wahlspruch lautete: "Alles hat seine Grenzen, nur die Freigiebigkeit des Königs soll grenzenlos sein!" (Vielleicht hat seine Tochter, Elisabeth d. Heilige, diese Freigiebigkeit von ihrem Vater geerbt!? Am bekanntesten über sie ist ja die Legende vom Rosenwunder. Die Elisabeth-Kirche in Marburg a. d. Lahn wurde ja nach ihr benannt und ihr Sarg wird auch heute noch dort aufbewahrt!) Aber auch seinen Sohn, König Bela IV. (Adalbert) lernten wir als spendenfreudigen König kennen, der 1245 das heutige Deutschkreutz und 1257 einen Teil Harkaus an seine treuen Untertanen verschenkte. Es gab also um diese Zeit kaum mehr "freie Bauern", die nur dem König untertan gewesen wären, alle waren irgendeinem Adeligen, Grafen, Magnaten, Bischof untertan. Diese "Grundherren" stritten und bekriegten sich oft gegenseitig (wie die beiden Familien "von Harka"), da jeder versuchte, seine Güter zu vergrößern, seine Macht - auf Kosten der anderen - immer mehr auszudehnen.

 

Mit dem Erstarken der Städte, des Bürgertums, versuchten auch diese, ihren Reichtum und ihre Macht zu vergrößern. Dabei wollten sie sich nicht nur auf ihren Handel sondern auch auf ihre Güter, ihre Untertanen als Arbeitskräfte stützen.

 

Ödenburg wurde wegen seiner Treue zu König Ladislaus IV. von diesem im Jahre 1277 zur Stadt mit vielen Privilegien erhoben. Später wurde sie sogar "Königl. Freistadt". Das entspricht dem Status einer "Freien Reichsstadt" im Deutschen Reich, wie z. B. Rothenburg o. T., Worms, Heilbronn, Nürnberg u. a. ihn hatten. Da sie mit vielen Privilegien ausgestattet waren, wurden sie immer reicher. Ja, sie durften wie andere Grundherren, also wie Grafen oder Freiherren durch Gesandte an den Landtagen (Reichstagen) teilnehmen und hatten dort Stimmrecht Diese Städte hatten auch große Handelsverbindungen. So blühte in Ödenburg hauptsächlich der Weinhandel. Ihre Bürger exportierten ihren vortrefflichen Wein nach Böhmen und Mähren, ja sogar bis nach Schlesien. Was ist verständlicher, als daß die Bürgermeister und Stadträte dieser reichen Stadt danach trachteten, noch mehr Weine zu erzeugen. Um aber die vielen Weinberge bearbeiten zu können, Benötigten sie "Untertanen", die billig oder gar umsonst die schwere Weinbergarbeit für sie leisteten. Die Königliche Freistadt Ödenburg sorgte also ebenso wie die Adeligen dafür, solche Untertanen zu bekommen. Da die Könige und die Adeligen schon damals permanent an Geldknappheit litten, fiel es der reichen Stadt Ödenburg auch nicht allzu schwer, einige umliegende Dörfer (mit deren Bewohnern) um Geld in ihren Besitz zu bringen, d. h. von den in andauernder Geldknappheit leben- den Adeligen zu kaufen. Wie wir gesehen haben, erwarb die Stadt Ödenburg zwischen 1400 und 1429 Harkau als "Stadtdorf". Aber Harkau war nicht das erste Stadtdorf Ödenburgs. Schon 1277 erhielt Ödenburg bei der Stadterhebung vom König "das königl. Burgfeld Wandorf" als Eigentum. Außerdem konnte die Stadt noch Wolfs (1325, bzw. 1342), Agendorf (1373), Mörbisch (1392), Klingenbach (1416), Kolnhof (1430) und Loipersbach (1547) erwerben. Von den die Stadt umgebenden Dörfern konnte sie nur Kroisbach nicht erwerben, da es Eigentum des Raaber Bischofs war. Zwar gehörte Kroisbach vorübergehend, nach der Schlacht bei Mohacs, von 1528 an, einige Jahre der Stadt, aber der Bischof löste das Dorf bald wieder ein, da es damals sein reichstes Dorf war. So war also Ödenburg Besitzer von 8 Gemeinden und damit in dieser Zeit eine der reichsten Städte Ungarns. Aus dem Jahre 1553 ist uns bekannt, daß es im Komitat Ödenburg (entspricht etwa einem großen Landkreis!) 1279 "Sessionen" (=ganze Lehen) gab. Davon waren nur 90 Sessionen Eigentum des Königs, 941,2 gehörten der Kirche, 121 Sessionen gehörten der Stadt Ödenburg und 9731,2 Sessionen waren im Besitz des Adels; allein dem Grafen Nadasdy gehörten 389 Sessionen (auch Deutschkreutz!)

 

Die Zugehörigkeit zur Stadt hatte für die Stadtdörfer zweifelsohne Vor- und Nachteile. Nachteile für die Gemeinden waren z. B. die Händeleien, Streitereien, in die die Stadt immer wieder verwickelt wurde. Nicht selten wurden diese Auseinandersetzungen auf den Rücken der Untertanen in den Dörfern ausgetragen. Dabei denke ich etwa an die Plünderung und Einäscherung Harkaus durch die Landseer Herrschaft (siehe dort!).

"Gewiß hat der königliche Schutz, den die Stadt genoß, sich auch auf das Leben in den Stadtdörfern vorteilhaft ausgewirkt; ebenso gewiß ist aber auch, daß das Los der Stadtdörfer in den Zeiten der Unruhen, der Aufstände und Kriege ungleich härter war als das der Stadt selbst. Denn während die Stadtbevölkerung bei feindlicher Bedrohung hinter den starken Befestigungsanlagen Schutz fand, waren die offenen Dörfer - oft auch die Vorstadt, die vor den Befestigungsanlagen sich ausbreitete - Drangsalierungen und Plünderungen der Feinde preisgegeben, sofern es deren Bewohner nicht gelang, rechtzeitig in die Stadt zu flüchten", schreibt M. Lang über Mörbisch. Das trifft natürlich auch auf Harkau zu. Dafür möchte ich folgendes Beispiel aufführen, das selbst der Erzmagyare Hazi in seinem Buch anführt: "Schon im September 1459 streiften die Reiter des neu gewählten ungarischen Königs Matthias Corvinus (König von 1458 bis 1490) in der Umgebung von Ödenburg umher, plünderten und brandschatzten. (In dieser Zeit war nämlich Ödenburg und Umgebung dem Deutschen Kaiser Friedrich verpfändet). Jedoch einen Angriff auf die Stadt selbst mit ihren befestigten Mauem wagten die Horden nicht." Also waren wieder die Untertanen in den Dörfern, die Dorfbevölkerung die Hauptleidtragenden. Dafür konnte natürlich Ödenburg nichts. Andererseits war es selbstverständlich, daß die Stadt dafür sorgte, wenn sie wirtschaftliche Vorteile für sich erlangte, sich erkaufte, diese auch den Stadtdörfern zukommen zu lassen. So erfahren wir aus einer Urkunde aus dem Jahre 1477 folgendes:

 

Während des Krieges des Ungarnkönigs Mathias Corvinus (regierte 1458-1490) mit Kaiser Friedrich III. von Österreich um Ödenburg und die anderen westlichen Komitate Ungarns, die Mathias verpfändet und nun zurückerobern wollte, geben Wilhelm Graf von Tierstein, kaiserlicher Hauptmann, und der Rat von Wiener-Neustadt einen ,,offenen Brief (=öffentlichen Brief), daß sie Ödenburg und deren 7 Dörfer - also auch Harkau! - bei der Weinlese des Jahres 1477 nicht stören werden, sondern sechs Wochen Frieden halten wollen, "daz sy die früchte aus irren weingertten lesen, vechsnen und dieselben frücht mitsamt irren leütten, viehe, wägen biss an irr sicher gewarsam heimfüren und bringen mögen..." (=daß sie die Früchte aus ihren Weingärten lesen, ernten und dieselben Früchte samt ihren Leuten, Vieh und Wägen bis an ihr sicheres Gewahrsam - nach Hause bringen können). Was die Ödenburger dem kaiserlichen Hauptmann für dieses Stillhalten im Kampf bezahlt haben, geht aus der Urkunde nicht hervor. Jedenfalls sehen wir, wie wichtig den Bürgern damals schon die Weinlese war, daß sogar die Kriegshandlungen sechs Wochen ausgesetzt wurden; wovon natürlich auch die "Stadtdörfer" ihren Nutzen hatten.

 

Natürlich hatten die "Stadtdörfer" gegenüber den anderen Dörfern, die Eigentum eines Magnaten waren, viele Vorteile. Ich wage sogar zu behaupten, daß die Vorteile, die die Stadtdörfer genossen, die Nachteile weit überwogen. So war z. B. in der Stadt schon wegen der alljährlichen Wahl des Bürgermeisters, des Stadtrichters und der anderen Ämter und des damit verbundenen Wechsels im Amt schriftlich genau festgelegt, wieviel Geld an Michaeli und an Georgi von den Dörfern abgeliefert werden mußte. Es war weiterhin genauestens festgelegt, wieviel Tage im Jahr jeder Untertan unentgeltlich für die Stadt arbeiten, "Frondienst" oder "Robath" leisten mußte. Bei den Untertanen der stolzen und oft hochnäsigen Magnaten war nie genau festgelegt, wann, wie oft, wozu die Untertanen zur Arbeit, zum Frondienst, zu Abgaben herangezogen wurden. Die Adeligen gingen bei ihren Forderungen an die Leibeigenen nicht selten über das erträgliche Maß hinaus, schreibt Jonne. Fiel es z. B. der hochherrschaftlichen Gesellschaft ein, auf die Jagd zu reiten, so mußten die Untertanen eben als Treiber mit, auch wenn diese bei der dringendsten Ernte- oder Heuarbeit waren. Solche Eskapaden leisteten sich die "Stadtväter", die "Stadtgrafen" nie; die dachten viel zu wirtschaftlich und waren da- rauf aus, den Reichtum der Stadt zu vermehren. Auch Jenny schreibt in ihrem Buch: "Das Urbarium der Stadtdörfer" (ung.) "Das Verhältnis der Stadt zu ihren Dörfern, ihren Untertanen war immer humaner als das Verhältnis der Adeligen zu ihren Untertanen." Das ist auch verständlich, denn ein Teil der Bürger - wenn auch nur ein kleiner Teil - stammte ja aus ehemaligen Untertanen, oder waren Nachkommen von Untertanen aus den Stadtdörfern. Zwar behaupteten die Untertanen aus Mörbisch bei ihrem Aufstand gegen die Ödenburger Ratsherren im Jahre 1597, es sei besser, einem Herrn (Grafen) zu dienen als 14 Ratsherren, (die die Geschicke der Stadt und der Dörfer leiteten,) aber das entsprach nicht den Tatsachen. Jedenfalls konnte sich Harkau und die übrigen Stadtdörfer unter dem Schutz der Stadt - Kriegszeiten ausgenommen - wirtschaftlich gut entwickeln. Denn Ödenburg war im 15. Jhdt. schon eine bedeutende Handelsstadt, die in Richtung Westen und Nordwesten nicht nur eine wichtige wirtschaftliche, sondern auchh eine wichtige kulturelle Rolle spielte. Durch die Nähe und die wirtschaftliche Verbindung der Dörfer mit der Stadt wirkte sich das Kulturelle auch wirtschaftlich vorteilhaft auf die Stadtdörfer aus, schreibt Pfarrer Fiedler. Die Märkte der Stadt trugen auch in nicht geringem Umfang zum relativen Wohlstand der Stadt und ihren Dörfern bei.

 

Nicht zu übersehen als Vorteil für die Stadtdörfer ist die Tatsache, daß während der Jahrhunderten vielen aufstrebenden jungen Menschen aus den Stadtdörfern es gelungen ist, in der Stadt das sehr lukrative "Bürgerrecht" zu erlangen. Denn die Stadtväter waren eher bereit, einen fleißigen, strebsamen Untertan aus den Stadtdörfern als Bürger aufzunehmen, als Unbekannte aus der Fremde, sofern diese nicht gute, tüchtige Handwerker waren. Ebenso bestand die Möglichkeit für die Harkauer Jugend, aber natürlich auch für die Jugend der anderen Stadtdörfer, sich mit Bürgersöhnen oder -töchtern zu verheiraten und so in den begehrten Bürgerstand Ödenburgs aufzusteigen. So konnte ich anhand der Bücher von Dr. Hazi: "Ödenburger Bürgerfamilien von 1535 bis 1848" (ung.) feststellen, von den 12.116 Bürgern, die dort namentlich erwähnt wurden, erlangten folgende Harkauer Untertanen das Bürgerrecht der Stadt Ödenburg. (Die Jahreszahl hinter dem Namen sagt uns, in welchem Jahr sie als Bürger aufgenommen wurden): Weiß Ambrosius 1544, Zign Martin 1596, Gruber Kaspar 1599, Hackel Hans 1601, Fiedler Lorenz 1602, Zign (Zügn) Mathias 1604, Rohrer Barte11614, Guetmann Adam 1616, Wenzel Simon 1616, WolfPhilipp 1620, Weiß Stephan 1621, Wolf Andreas 1631, WalterThomas 1633, HaberlerLorenz 1659, StroriglLorenz 1660, EisenkeckGeorg 1677, Ruiß Michael 1678 (er wurde Lehrer am evang. Gymnasium in Ödenburg und gleichzeitig Leiter der Kirchenmusik; seine Eltern waren Paul Ruiß und Ursula), Exler (Öchsler) Johann 1682, Pruemann Michael 1706, Trackl Hans 1719, Wilfmg Georg 1725, Heckenast Christoph 1726, Reitter Michael 1804 u. a.

 

Wie wir also sehen, gab es kaum eine alteingesessene Harkauer Familie, aus der nicht einer oder mehrere Glieder den Aufstieg in den Bürgerstand schafften. Dabei war das gar nicht so einfach; denn die Untertanen mußten zuerst ihre "Ablösung" für die schuldige Robath (= Frondienst) und Abgaben bezahlen, dann erst konnten sie die Aufnahmegebühren für das Bürgerrecht entrichten und den Bürgereid ablegen. Es ist uns überliefert, daß z. B. von Wolf Andreas, der auch Richter in Harkau war und 1631 Bürger werden wollte, 100 ung. Taler "Abzugsgeld" verlangt, die 1632 allerdings auf 100 Reichstaler nachgelassen wurden. Wenn man bedenkt, daß ein Kalb etwa 1 Reichstaler kostete, so war das ein horrender Betrag. Dr. Hazi schreibt: "Natürlich wollten auch viele Untertanen aus den Stadtdörfern das lukrative Bürgerrecht erlangen und 299 schafften es auch..." Wenn wir das bedenken, so sind die Harkauer Untertanen mit 22 sehr schwach vertreten, selbst wenn es einige mehr waren, die als Harkauer Untertanen das Bürgerrecht erlangten, als ich erfassen konnte. An der Spitze der Stadtdörfer lag hier Wandorf, das mag u. a. auch mit der Nähe der Gemeinde zur Stadt zusammenhängen. Einen weiteren Vorteil für die Harkauer als "Stadtdorf" sehe ich darin, daß sie in der Zeit der Gegenreformation unter den Fittichen der zum größten Teil evang. Bürger der Stadt bei ihrem evang. Glauben bleiben konnten. Während die Bewohner der umliegenden Gemeinden, die nicht Stadtdörfer waren, sondern Eszterhazy, Nadásdy und anderen Magnaten gehörten, wie Deutschkreutz, Neckenmarkt, Lackenbach, Zinkendorf, Holling u. a. mit größter Härte rekatholisiert wurden, konnten die deutschen Stadtdörfer trotz Enteignung ihrer Kirche und Einsetzung eines kath. Pfarrers und Lehrers die "110 Jahre Geheimprotestantismus" überstehen.
Quelle:"Harkau - mein Heimatdorf ",
die Geschichte eines deutschen Bauerndorfes in Westungarn
Andreas Schindler (1987)