Laut Friedensvertrag mit Österreich (in St. Germain am 10. September 1919) sollten die deutschsprachigen Gebiete in Westungarn mit der Hauptstadt Ödenburg an Deutsch-Österreich angeschlossen werden. Da der Friedensvertrag mit Ungarn erst am 6. Juni 1920 in Trianon geschlossen und die Übergabe Westungarns an Österreich erst für den 21. August 1921 festgelegt worden war, blieb viel Zeit, um ungarischerseits den Anschluß Westungarns an Österreich vielleicht doch noch verhindern zu können. Besonders die Freischärlergruppe, die "Héjas banda" terrorisierte die Gegend.
 
Ein Mitglied dieser Gruppe, der später in Harkau wohnte, erzählte mir öfters davon, wie sie in Lackenbach und Umgebung die Geschäftsleute, besonders Juden, geschlagen und malträtiert haben. Auch der Deutschkreutzer Apotheker, exponierter Verfechter des "Anschlusses", hatte viel unter ihrer Drangsalierung zu erdulden. Er und seine Frau waren von der "Héjas banda" fast zu tode geprügelt worden. Der Harkauer evang. Pfarrer Bothar, der sich auch für den Anschluß an Osterreich einsetzte, wurde von den Freischärlern gesucht. Maria Lagler, spätere Frau des Lehrers Neubauer, konnte ihn rechtzeitig warnen und verstecken, bis er einige Tage später unter Zurücklassung seiner Familie nach Österreich flüchten konnte. Nachdem Harkau bei Ungarn verblieb, erhielt er eine Pfarrei in Stadt-Schlaining, Südburgenland.
 
Eugen Schusteritsch schreibt in seinem Buch: "Ödenburg und Umgebung, Bad Wimpfen 1964". sehr ausführlich über diese Zeit; die Vorbereitung zur Übergabe der Stadt an Österreich durch Ostenburg, den Abzug des ung. Militärs am 17. August 1921, den Widerstand der Hochschüler, die Vereinbarung und das Protokoll von Venedig zwischen Österreich und Ungarn, sowie die Volksabstimmung in Ödenburg und Umgebung. Für unsere Leser, die nicht im Besitz des Buches vom Landsmann Eugen Schusteritsch sind, wollen wir die Ereignisse des Jahres 1921 nur kurz zusammenfassen.
 
Als Ende August 1921 die österreichische Gendarmerie die Stadt Ödenburg laut Friedensvertrag iin Besitz nehmen wollte, leisteten Studenten der Hochschule für Bergbau und Forstwesen .in Ödenburg bei Agendorf den österreichischen Gendarmen bewaffneten Widerstand. Es gab einige Tote, worauf sich die Österreicher zurückzogen. Dieser Vorfall gab dazu Anlaß, daß Zeiitungen in Italien und Frankreich -lanciert von der ung. Regierung - in großen Lettern mit- mitteilten, Ödenburg wolle nicht zu Österreich. Die Besatzungsmacht Italien war wegen Südtirol und anderen ehemaligen österreichischem Gebieten ohnehin nicht gut auf Österreich zu sprechen. Trotz mehrmaliger Aufforderung den Entente an die ung. Regierung, das gesamte Burgenland mit Ödenburg gleichzeitig an Österreich abzutreten, lud der italienische Außenminister auf Vorschlag des italienischen Gesandten in Budapest Österreich und Ungarn zu Verhandlungen über die Zugehörigkeit Ödenburgs nach Venedig ein.
 
Die Konferenz fand am 11. und 12. Oktober 1921 statt. Laut "Venediger-Protokoll" sollte in Ödenburg und Umgebung eine Volksabstimmung- darüber abgehalten werden, ob die Stadt Ödenburg und die acht Gemeinden der Umgebung- an Österreich angeschlossen oder bei Ungarn verbleiben sollten. (Wortlaut des Protokolls siehe bei Schusteritsch!) Es wurden Vorbereitungen zur Abstimmung getroffen, bei denen es - wie die Magyaren heute selbst zugeben - nicht ganz korrekt zugegangen sei.
 
Die Stadtverwaltung mit ihrem Bürgermeister Dr. Thurner und dessen Stellvertreter Dr. A. Schindler, beide deutscher Muttersprache, setzten sich jedoch uneingeschränkt für den Verbleib Ödenburgs bei Ungarn ein. Die Verwaltung gab "sehr großzügig" Stimmzettel aus. Wer drei Tage in Ödenburg polizeilich gemeldet war, war stimmberechtigt. Ganze Sonderzüge kamen nach Ödenburg, um für Ungarn zu stimmen. Ebenso sollen die Freischärler und Hochschüler in den deutschen Vierteln der Stadt die deutsch gesinnte Bevölkerung eingeschüchtert haben. Außerdem lief auch der indirekte Druck auf die eingeschüchterte Bevölkerung. Man verbreitete die Parole, die Tschechen drängen darauf, das Gebiet (heute Burgenland) als Korridor für die Süd-und Nordslawen - zwischen Jugoslawien und der Tschechei einzurichten. Der ung. Ministerpräsident Graf Bethlen versuchte mit Lockungen auf die Bevölkerung des Abstimmungsgebietes einzuwirken. Es wurden 40 Vertreter aus Ödenburg und Umgebung nach Budapest eingeladen, wo sie vom Ministerpräsident freundlichst empfangen wurden. Als die Delegation ihr Memorandum betr. deutscher Unterrichtssprache vorlegte versprach er ihnen, nach der Volksabstimmung ihre Wünsche restlos zu erfüllen. Da die Osterreicher mit der Art der Abstimmungsvorbereitungen nicht einverstanden waren, verließen sie schon acht Tage vor Abstimmung die Stadt. Am 14.15. u.16. Dezember wurde dann in der für Österreich so ungünstigen Situation die Volksabstimmung durchgeführt, laut welcher Ödenburg und Umgebung bei Ungarn verblieb.

Als ich anfangs der 60iger Jahre meinen Urlaub in einer der burgenländischen Gemeinde verbrachte, sagte mir ein dortiger Bewohner, als dieser erfahren hatte, daß ich aus Harkau stamme und aus der alten Heimat vertrieben worden war: "Da habt ihr den Dank dafür, weil ihr 1921 für Ungarn gestimmt habt!" Damit dies nicht weiterhin geglaubt und erzählt wird, teile ich hier die offiziellen Ergebnisse der Volksabstimmung von 1921 mit (nach E. Schusteritsch).

 

Stimmbezirke

Stimm-
berechtigt

Abge-
gebene Stimmen

davon ungültig

für Österreich

in %

für Ungarn

in %

Stadt Ödenburg mit Brennberg

18 994

17 298

351

4 620

27,2

12 327

72,8

Agendorf

1 148

848

18

682

82,2

148

17,1

Harkau

668

581

9

517

90,4

55

9,6

Holling

349

342

11

74

22,3

257

77,7

Kolnhof

948

813

30

243

31,0

550

69,0

Kroisbach

1 525

1 370

33

812

60,7

525

39,3

Wandorf

1 538

1 177

35

925

81,0

217

19,0

Wolfs

668

595

17

349

60,4

229

39,6

Zinkendorf

1 041

1 039

8

5

-

1 026

100,0

Insgesamt

26 879

24 063

512

8 227

34,9

15 334

65,1

Abgesehen von der rein ungarischen Gemeinde Zinkendorf und den magyarischen Stimmabgaben von Ödenburg zeigt das Ergebnis der Volksabstimmung, daß sich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung für einen Anschluß an Österreich ausgesprochen hat;' schreibt Eugen Schusteritsch (S. 40). Nun wurde die Stadt und die 8 Dörfer ohne größeres Hinterland auch von den Märkten in Wien u. Wiener-Neustadt abgeschnitten, sie lag als Grenzstadt wirtschaftlich darnieder und ihre deutschen Bewohner wurden zum größten Teil nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer angestammten Heimat vertrieben.
 
Daß unsere Heimatgemeinde Harkau mit über 90 % für den Anschluß an Österreich gestimmt hatte, hat sicher auch zur Folge gehabt, daß von der Vertreibung im Jahre 1946 über 99% der Bevölkerung erfaßt wurde, während in den anderen deutschen Gemeinden - sicher auch aus anderen Gründen, z. B. aus Agendorf arbeiteten mehrere als Knappen im Kohlenbergwerk Brennberg, die als wichtige Facharbeiter nicht vertrieben wurden - doch eine kleinere Gruppe Deutscher in der Heimat verbleiben durfte. Als Admiral Horthy die Räterepublik stürzte, meinte er und seine Anhänger innenpolitisch an den nationalistischen, ja chauvinistischen Kurs von vor 1914 anknüpfen zu können. Karl IV. von Habsburg versuchte noch zweimal durch einen Putsch den ungarischen Thron zurückzuerobern, aber die Versuche mißlangen. Horthy war zwar kein König sondern nur "Reichsverweser", aber große Kreise hatten endlich einen nationalen Vertreter an der Spitze des Staates. Was das mit der Geschichte Harkaus zu tun hat? Nun ein sehr typisches Beispiel! Nachdem das Horthy-System fest im Sattel saß, wurde laut eines Gesetzes angeordnet, daß alle Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges, die Inhaber der goldenen Tapferkeitsmedaille sind, in den neu gegründeten Heldenorden aufgenommen werden und sich mit "Vitéz" (= Held) bezeichnen können. Sie erhalten, sofern sie Bauern sind, einige Joch Feld umsonst, sofern sie Beamte, Angestellte sind, werden sie bevorzugt eine Stelle erhalten oder befördert werden. Es sollte eine neue nationale "Ritterschaft", ein neuer nationaler Adel gegründet werden. Dementsprechend wurden sie vom Reichsverweser selbst mit dem Schwert zum "Vitéz" (= Helden) geschlagen, wie Jahrhunderte vorher die Ritter.
 
Die ganze Geschichte hatte für die Harkauer nur einen Haken. Jeder, der "Vitéz" werden wollte, mußte ein Magyare sein oder wenigstens einen ung. Familiennamen haben. Was blieb den Bewerbern anderes übrig, als ihren deutschen oder slawischen Namen zu magyarisieren. So änderte mein späterer Prof. in der Lehrerbildungsanstalt seinen deutschen Namen Lenck in den "magyarischen" Lenki (wobei alle, deren Namen mit i enden als Magyare, die mit y endenden meistens sogar als Adelige angesehen wurden. Letzteres veranlaßte manchen, der 1956 nach dem Westen kam, sein Endungs-i auf y umzutauschen!) Als der Aufruf an die Medaillenträger erging, sie möchten sich um den ,"Vitéz" bewerben, waren in Harkau nur zwei bereit, einen diesbezüglichen Antrag zu stellen, obwohl mehrere Kriegsteilnehmer Inhaber dieser Auszeichnung waren. Ich darf den Ausspruch eines Harkauers zitieren: "Ich habe meine Tapferkeitsmedaille mit meinem deutschen Namen: Gottlieb Reitter bei der K. u. K. Armee erworben. Kann ich mit meinem deutschen Namen kein "Vitéz" werden, verzichte ich darauf und auf alle Vorteile, die mir daraus entstehen würden.
 
Quelle:"Harkau - mein Heimatdorf ",
die Geschichte eines deutschen Bauerndorfes in Westungarn
Andreas Schindler (1987)