Wie ich bereits in anderen Kapiteln (Ende der Lehensherrschaft) und in der "Chronik von Harkau" bei der Auswanderung geschrieben habe, begann der wirtschaftliche Niedergang der Gemeinde in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Die Ablösungssummen für die "Robath" (Frondienst), die über die Steuern an den Staat, und für die "Rottfelder", direkt an den früheren Grundherrn, an die Stadt, zu entrichten waren, die Geldknappheit mit ihren hohen Zinsen in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, die Reblaus (Phylloxera), die die Weinberge vernichtete, die dann für teures Geld wieder neu ausgesetzt und bearbeitet werden mußten, ohne daß sie einige Jahre auch nur die geringsten Erträge gebracht hätten und anderes mehr, brachten große Armut in das frühere doch wohlhabende bäuerliche Dorf. Viele Bauern kamen um die Jahrhundertwende um ihr Hab und Gut, um ihr ganzes Vermögen. Andere waren tief verschuldet. Sie versuchten, in Amerika als "Fremdarbeiter" so schnell wie möglich Geld zu verdienen, um dadurch den Hof vor der Zwangsversteigerung zu retten. Wieder andere standen schon am Rande des Ruins und konnten nur durch die Geldentwertung während des Krieges ihr Vermögen wieder entschulden.
 
Durch den Bau der Günser Bahn, weitab vom Dorf(siehe Verkehr!) war das Dorf auch von einer günstigen Verkehrslage abgeschnitten. Das letzte Glied dieser Kette des wirtschaftlichen Niedergangs unseres Dorfes brachte die Abtrennung des Burgenlandes, bzw. Harkaus Verbleib bei Ungarn und die Weltwirtschaftskrise.
 
Nachdem das Burgenland - wie das neue Bundesland Österreichs genannt wurde - an Österreich angeschlossen und Harkau nach der Volksabstimmung bei Ungarn verblieben war, wurde Harkau zu einem "Grenzdorf". Die Nachbargemeinden von Süden bis Westen: aus. Deutschkreutz, Girrn, Unterpetersdorf, Haschendorf, Neckenmarkt u. Ritzing kamen alle zu Österreich. Dadurch waren diese als Verkäufer, hauptsächlich aber als Käufer von Ödenburg abgeschnitten, was natürlich katastrophale wirtschaftliche Folgen hatte. Außerdem konnten die vielen landwirtschaftlichen Produkte kaum noch nach Wiener-Neustadt und Wien verkauft werden. Konnten in den ersten Jahren nach der Grenzziehung immer noch Rinderu. Wein z..B. nach dem Burgenland verkauft werden- wenn auch oft nur über die grüne Grenze - so war diesem Handel bald Einhalt geboten.
 
Der Weinabsatz stockte hier so dicht an der Grenze völlig. Konnten die Wolfser und Hollinger leicht der Rest vom ehemaligen z.B. ihren Wein immer noch auf den Markt nach Ödenburg fahrenden ungarischen Händler, die durch diese Gemeinden fahren mußten, oder an die Wirte der ung. Dörfer verkaufen, so fiel das in Harkau auch aus, da aus den benachbarten burgenländischen Dörfern niemand durch Harkau kam, um auf den Ödenburger Märkten zu kaufen oder zu verkaufen. Im Winter 1928/29 gab es durch den strengen Winter große Schäden in den Weinbergen. Es gab 1929 einen sehr guten Wein, "stark wie Rum", sagten die Leute, aber mengenmäßig gab es wegen der Frostschäden sehr wenig. Aber in den Jahren 1930, 1931 und 1932 gab es Rekordernten. Da es sehr trockene, heiße Sommer waren, gediehen zwar sehr wenig Frucht und Futtermittel, aber der Wein war nicht nur quantitativ sondern auch qualitativ einmalig. Als die Trauben im Jahre 1931 heranreiften, waren die Fässer der Harkauer Winzer vom guten 1930er Wein noch alle voll. Sie wußten nicht, wohin mit der Maische! Die Winzer waren schließlich froh, wenn ihnen der jüdische Weinhändler in Ödenburg, der Kladler, die Maische spottbillig ab nahm. So zahlte er für 100 Liter(!) Maische sage und schreibe 6,- Pengö, das war nach einem späteren (1938) Umwechselkurs 3,53 Reichsmark! Dazu mußten sie die Maische noch in die Stadt fahren.
 
Nachdem die Harkauer in dieser mißlichen Lage nirgends eine Absatzmöglichkeit für ihren hervorragenden Wein fanden, glaubte mein Vater noch einen Ausweg gefunden zu haben. Er lud mehrere Weinbauern zu einer Besprechung ein und machte sie mit seinem Vorhaben bekannt. Sein Plan war: Es sollte eine Produktionsgenossenschaft gegründet werden, deren Wein sollte in Szany, einer ungarischen Großgemeinde, etwa 40 km östlich von Harkau, als Flaschenwein verkauft werden. Da in Szany kein Wein erzeugt wurde, und der "Feribácsi" - ein dortiger Maurermeister, der öfters in Harkau arbeitete, allen bekannt war und als sehr zuverlässig galt - wäre bereit gewesen, den Wein in seinem Haus in Flaschen zu verkaufen. An einen Ausschank des Weines war nicht gedacht, denn dagegen würden die Wirte dort protestieren. Mit dem Vorschlag waren alle anwesenden Harkauer Weinbauern einverstanden. Es wurde ein Gesuch um eine Genehmigung des Vorhabens beim Stuhlrichter eingereicht.
Nach einigen Monaten erhielt mein Vater die Nachricht, daß das Gesuch abgelehnt wurde. Der Flaschenweinverkauf wurde nicht genehmigt. Wie wir später - hintenherum - erfahren haben, scheiterte der Antrag am Einspruch des dortigen Landtagsabgeordneten, und unser Landtagsabgeordneter, Dr. Ostör, setzte sich nicht genügend für die Sache ein. Nunja, Harkau war bei den Behörden wegen 1921 "nicht gut angeschrieben". Ihre Parole lautete: Mögen die Schwaben (so wurden alle Deutschen in Ungarn verächtlich genannt) sehen, wie sie ihren Wein vermarkten können. Dabei hatten die Österreicher schon 1921 auf einem Wahlplakat vor der Volksabstimmung gewarnt: "In Ödenburg lachen die Hühner, weil die ungarische Regierung den Weinbauern versprochen hat, ihnen den Wein abzukaufen". Nachdem diese Möglichkeit des Weinabsatzes für zahlreiche Harkauer von den Behörden nicht genehmigt worden war, waren sie froh, wenn aus dem Burgenland Weinschmuggler kamen, die buttenweise 20-25 Liter kauften und über die Grenze schmuggelten. Dazu kamen die Schmuggler, oft 2-3 zusammen, früh morgens nach Harkau. Sie wurden vom Bauern umsonst verköstigt, schliefen tagsüber in der Scheune und brachten dann beim Einbruch der Dunkelheit den Wein über die grüne Grenze, manchmal bis Neutal, ca. 10-12 km auf Feldwegen!
Nicht selten kamen sie dieselbe Nacht noch wieder mit der leeren Butte zurück nach Harkau, um dieselbe Tour am nächsten Tag, bzw. in der nächsten Nacht zu wiederholen. Viele Winzer schenkten ihren Wein schwarz, ohne Erlaubnis, im Keller aus. In diesem "Rauberschank" ging es oft sehr hoch her. Der Wein wurde im Keller getrunken und kostete nur 40 Filler pro Liter (ca. 22 Pfennige). Es gab auch ein "Schenkhaus" oder "Buschenschank" (in Württemberg heißt das Besenwirtschaft). Schon während Harkau noch Stadtdorf war, also sicher ab 1550, hatten. die Untertanen des Recht, von Michaeli (29.9.) bis Georgi (24. 4.) ihren eigenen Wein auszuschenken. (Vom 24. .4. bis 29.9. durfte bloß im stadteigenen, verpachteten Gasthaus Wein feilgeboten werden). Dieses Recht, daß der Erzeuger seinen Wein frei ausschenken durfte, hatten die Harkauer nach der Loslösung von der Stadt, also nach 1853 beibehalten, ja noch auf das ganze Jahr ausgedehnt. Es war eine Vereinigung (viel- leicht der Rest vom ehemaligen Bergrecht?), die die Reihenfolge des Ausschenkens nach Anmeldung festlegte. Außerdem hatte sie Bänke, Tische, Krüge, Weingläser, Weinflaschen, die sie ihren Mitgliedern während der Zeit des Weinausschanks gegen geringes Entgelt zur Verfügung stellte. Zerbrochene Gläser und Krüge mußten ersetzt werden. "Buschenschank" wurde diese Art von Weinausschank genannt, weil- meistens von einer Dachluke des Hauses - an einer langen Stange ein Buschen aus Tannenreisig hing, um anzuzeigen, hier wird eigener Wein ausgeschenkt. Darum hieß es oft: "Wer hat ausgesteckt?" Unter dem Buschen war oft ein kleines - etwa 10 cm großes Strohkreuzchen angehängt. Dadurch wurde bekanntgegeben, daß kein "Heuriger" sondern "alter", vorjähriger Wein ausgeschenkt wird. Unter dem Kreuzchen hing dann noch ein rotes oder weißes Bändchen oder Stoffdreieck, das anzeigte, ob Rot- oder Weißwein ausgeschenkt wurde.
Meistens wurde für das "Schenkhaus" ein Zimmer oder eine Kammer ausgeräumt und mit Bänken, Tischen und Stühlen versehen. Die Gäste konnten dort sitzen bleiben und (gegen Bezahlung) ihren Wein trinken. Einzelne tranken meist 3 dcl oder einen (oder auch mehrere) Spritzer (im Südwesten "Schorle" genannt). Saßen mehrere beisammen und spielten womöglich Karten, so wurde der Wein in Literflaschen bestellt. Natürlich wurde da unter den Männern (Frauen gingen nicht in das Schenkhaus!) erzählt, politisiert, gesungen, musiziert (Ziehharmonika), und wenn der Wein seine Wirkung getan hatte, manch- mal sogar gestritten, ja sogar gerauft. Letzteres wurde natürlich vom Wirt und seinen Helfern schnellstens unterbunden. Da aber kaum Fremdenverkehr vorhanden war, tranken sie ab- wechselnd einer des anderen Wein, so daß wiederum kaum fremdes Geld in das Dorf gelangte. Als 1931 der Harkauer Männergesangverein Concordia mit dem "Wiener MGV Breitensee" Freundschaft schloß, kamen öfters an Wochenenden Busse von Wien und sorgten für Umsatz. Da ja in Ungarn Wein und Backhendl besonders billig waren - übernachtet wurde bei den Bauem - war das für die Wiener sehr billig und lukrativ. Allerdings so viel Wein konnten diese nicht trinken, wie in Harkau zu verkaufen gewesen wäre. Während der Weltwirtschaftskrise 1929-34 war nicht nur der Weinabsatz so schlecht, auch alle anderen landwirtschaftlichen Erzeugnisse konnten kaum vermarktet werden. Man sagte: "Die Bauem und Winzer ersticken in ihren eigenen Erzeugnissen!" Zwar gab es bei der rein bäuerlichen Bevölkerung Harkaus kaum Arbeitslose wie in Deutschland. Diesbezüglich war es in Deutschkreutz, in Österreich überhaupt und in Deutschland viel schlimmer, aber indirekt war auch Harkau von der Weltwirtschaftskrise stark betroffen. Wie oft kam es vor, daß die Bauern eine Kuh, Kälber, Schweine, Ferkel, Hendl auf den Wochenmarkt nach Ödenburg brachten, diese aber überhaupt nicht verkaufen konnten, so daß sie diese 3-4mal auf den Markt bringen mußten.
Da in den trockenen Jahren aus Futtermangel die Tiere oft auch nicht aufgezogen werden konnten, mußten sie um Schleuderpreisen veräußert werden. Es gab dann zahlreiche Notschlachtungen "wegen Leberegel", in Wirklichkeit war es Futtermangel. Nach der Abtrennung des Burgenlandes gab es zwischen Österreich und Ungarn einen kleinen Grenzverkehr. So durften die Harkauer mit einem Ausweis "Brunnenzettel", den der Richter ausstellte, trotz Landesgrenze auch weiterhin Sauerwasser zum Trinken von der Sauerwasserquelle, die auf Deutschkreutzer Gemarkung, also in Österreich lag, holen. An der Grenze wurden Wachhäuschen gebaut, in dem die "Grenzer" (Soldaten) ihren Dienst taten. Wenn die Harkauer beim Wasserholen die Grenze überschritten, gaben sie den "Brunnenzettel" bei den ung. Grenzern ab, und wenn sie zurückkamen, erhielten sie den Ausweis wieder. Kontrolliert wurde so gut wie nie. Manche Harkauer nutzten dieses "Wasserholen" auch dazu aus, um in Deutschkreutz billiger einzukaufen und brachten die Schmuggelware statt Wasser nach Hause. Es gab natürlich auch professionelle Schmuggler, die ihre Ware meistens in Ödenburg verkauften. Interessant für die Schmuggler waren die österreichischen Feuerzeuge und die dazu benötigten Feuersteine, die in Österreich sehr billig, in Ungarn aber teuer waren, dann der "ungarische Zucker", der nach Österreich exportiert und in Österreich billiger angeboten wurde als in Ungarn, da in Österreich keine Steuern danach erhoben wurden. Ebenso wurden Süßigkeiten, Schokolade aber auch Kleider nach Ungarn geschmuggelt. Hie und da wurde auch der eine oder andere Schmuggler erwischt. Da diese aber meist "Hulden" waren, also in Miete wohnten und kein Vermögen besaßen, wurden sie einige Tage, höchstens einige Wochen eingesperrt, inhaftiert und dann wieder freigelassen.
 
In den 30er Jahren wurde im Rahmen dieses kleinen Grenzverkehrs ein Abkommen zwischen Österreich und Ungarn geschlossen, laut welchem die in der Grenznähe wohnenden Burgenländer, sofern ihr Einkommen eine bestimmte Höhe nicht überschritt, anfangs wöchentlich dreimal, später wöchentlich zweimal (Dienstag und Donnerstag) nach Ungarn gehen oder mit dem Fahrrad fahren, um dort pro Person jedesmal ein 1/2kg Brot, ein 1/2kg Mehl sowie 4kg Fleisch einkaufen und frei über die Grenze bringen durften. So daß eine Familie bis zu 3 kg Brot, 3 kg Mehl und 11/2 kg Fleisch einkaufen konnte. Von dieser Vereinbarung erfuhren die Harkauer anfangs gar nichts. Ich kann mich auf folgende Begebenheit noch genau erinnern. Eines Tages kamen die beiden Fleischhacker/Metzger, Ritter und Jude Kluge aus Lövö zu meinem Vater und sagten ihm, sie werden beim Heckenast Johann für die Deutschkreutzer Kunden, die in Ungarn frei einkaufen dürfen, eine Fleischbank eröffnen. Fleischhacker Ritter würde dort Schweine- und Rindfleisch verkaufen und Kluge nur "koscheres" Fleisch an die zahlreichen Juden, die aus Deutschkreutz nach Harkau einkaufen kämen.
 
Da die Deutschkreutzer aber auch Mehl und Brot kaufen, wollen sie meinen Vater fragen, ob er nicht bereit wäre, ein zweites Geschäft, mit Verkauf von Brot und Mehl am oberen Dorfende, in den Neuhäuseln zu eröffnen. Mein Vater meinte, er hätte Arbeit genug und könnte aus Personalmangel ein zweites Geschäft nicht eröffnen, selbst wenn es nur drei Tage in der Woche geöffnet sein sollte. Worauf Herr Kluge, ein sehr netter und freundlicher Jude, sagte: "Das tut mir leid; wir brauchen neben unserer Fleischbank eine Mehlhandlung, damit die Kunden nicht in das Dorf zum Einkaufen gehen müssen oder wegen der Umständlichkeit lieber in Kolnhof einkaufen. Sind sie nicht bereit, sind wir gezwungen, einen auswärtigen Kaufmann anzusprechen. Wir wollten die örtlichen Geschäftsleute berücksichtigen, da wir mit den Harkauern guten Kontakt pflegen wollen!" Nach kurzer Bedenkzeit erklärte sich mein Vater dann doch bereit, die Mehlhandlung zu eröffnen. Das Brot lieferte die Fa. Lagler, mein Onkel, und als Matthias Payerl eine Bäckerei eröffnete, bezogen wir auch von ihm einen Teil des Brotes. Da die Deutschkreutzer Kunden im Sommer von 6-8 Uhr und im Winter von 8-10 Uhr ihre Haupteinkaufszeit hatten, mußte alles vorbereitet sein. Wenn dann "Rummel" vorbei war, kamen die ärmeren Juden zum Einkaufen. Da lernte ich einige kennen, die früher wohlhabend waren und jetzt auch zu den ärmeren Schichten gehörten. So der alte Herr Komin, dem vor dem Ersten Weltkrieg viele Kühe in Harkau, die "Judenkühe" gehörten, ebenso waren viele Harkauer Bauern vor dem Krieg bei ihm verschuldet. Da hatte ich mich, wenn ich im Geschäft war in meiner Ferienzeit, oft mit ihnen über wissenschaftliche Probleme unterhalten, denn intelligent waren sie. - Durch diesen kleinen Grenzverkehr wurden doch wöchentlich einige Stück Jungvieh und ziemlich Mehl und Brot verkauft, so daß wenigstens etwas fremdes Geld nach Harkau kam.
 
Oft waren für die Einwohner - sie waren ja alle Klein-und Kleinstbauern und keine "Kulaken" - der Erlös für die Milch die Haupteinnahmequelle. Von sehr vielen Frauen und einigen Männern wurde die Milch allmorgendlich mit dem Buckelkorb, bis zu 20 Liter u. mehr täglich, in die Stadt getragen, wo jedes "Mülliweib" schon sein "Mülliead", seine Familien, Geschäfte, Institute hatte, um täglich Frischmilch abzuliefern. Einige hatten auch eine kleine "Sammelstelle". Diese brachten dann die Milch mehrerer Bauern mit einem Pferdefuhrwerk in die Stadt. dazu . Eine "Milchzentrale" gab es erst ab Beginn des Zweiten Weltkrieges.
 
Eine Einnahmequelle war auch das erzeugte Obst. Hier wirkte sich die Nähe der Stadt doch et- was günstiger aus, so daß der Großteil des Obstes relativ leicht auf dem Markt Ödenburgs absetz bar war. Besonders die vielen Kirschen konnten verhältnismäßig gut verkauft werden, wenn auch oft spottbillig. Meistens wurden diese nachmittags gepflückt und anderntags früh morgens um fünf Uhr im Buckelkorb in die Stadt getragen, damit sie den Händlern verkauft werden konnten, bevor diese ihr Geschäft öffneten. Da die Harkauer Kirschen besonders schön und schmackhaft waren, kauften die Händler besonders gerne Harkauer Kirschen, sie, Hul- wurden den Agendorfer, Wolfser und Kroisbacher Kirschen vorgezogen. Während die Äpfel aus Agendorf bei den Händlern den Vorzug hatten. Als die Zahl der Fahrräder im Dorfe zugenommen hatte, setzten sich die meist Jugendlichen samt dem Buckelkorb voll Kirschen auf das "Bicikl" und brachten die Ware in die Stadt, was eine enorme Erleichterung war und es auch ermöglichte, täglich zweimal einen Korb voll Kirschen auf den Markt zu liefern. Ebenso wurden im Herbst die vielen Pfirsiche auf den Markt gebracht; da in den Weinbergen viele der kaum schattenspendenden Pfirsichbäume angepflanzt waren, war die Pfirsichernte in manchem Jahr so groß, daß die Pfirsiche überhaupt nicht verkauft werden konnten und am Boden verfaulten. An eine Verwertung durch Einkochen oder Schnapsbrennen dachte kein Mensch! Im Spätherbst und im Winter wurden auch viele Edelkastanien zum Verkauf nach Ödenburg gebracht. Damit die Kastanien länger gesund blieben - bekanntlich schimmeln sie relativ schnell - wurden sie mit den "Igeln" (Fruchtbecher, Kapseln) aufbewahrt und erst vor dem Verkauf aus den stachligen Hüllen "ausgetreten". Ebenso wurden die "Espeln" und die "Aschritz", wenn sie durch das Liegen weich, mürbe geworden waren, auf den Markt gebracht die und sorgten für kleinere oder größere Einnahmen. Diese körperliche Anstrengung, täglich die Milch, das Obst im Buckelkorb in die 5-6km ferne Stadt zu bringen, hätte den Harkauern, ob Frauen und Männern erspart werden können, wenn sie die Bahnstation am Dorfende gehabt (siehe Abschnitt: Verkehr!).
 
Verkauft wurde auf den Ödenburger Märkten auch die Frucht, die leider in der schon erwähnten Weltwirtschaftskrise auch sehr schwer zu verkaufen war. Ein dz (= dt, 100 kg) Weizen wurde: de mit 9,- Pengö (nach späterem Umrechnungskurs für 5,30 RM.) verkauft. Etwas wohlhabendere Bauern, die ein Ochsengespann während des Jahres als Arbeitstiere hielten, mästeten dieselben im Herbst, wenn die Feldarbeit geleistet war, um sie vor Weihnachten gemästet besser verkaufen zu können. Auch Gänse wurden um der Federn willen gehalten. Die Mädchen des Hauses mußten ja eine Aussteuer bekommen. Das Jahr über wurden die Gänse zweimal gerupft und kurz vor Weihnachten geschlachtet. Die sauberen Gänse wurden dann an österreichische Händler verkauft, die sie meistens über die grüne Grenze nach Wien - auf den eigentlichen Markt Westungarns - brachten und dort als "Weihnachtsgänse" verkauften.
 
Wirtschaftlich ging es der bäuerlichen Bevölkerung erst besser, als die Agrarprodukte Ungarns wieder im Westen leichter absetzbar waren, als nämlich die große Arbeitslosigkeit abgebaut wurde. Ich weiß mich noch gut daran zu erinnern, daß von den Mastochsen anfangs Winter 1935 die erste Wahl nach Deutschland, die zweite Wahl nach Italien exportiert wurde. Ebenso wurden die Geflügel, Rinder und Schweine exportiert. Daß diese Einkäufe schon den Kriegsvorbereitungen Mussolinis dienten, um Abessinien zu überfallen, konnten die Harkauer damals noch nicht ahnen. Übrigens standen die Harkauer gefühlsmäßig alle auf der Seite Abessiniens, gegen Italien. So wie - mein Vater erzählte mir das oft - seine Generation um die Jahrhundert wende alle gesinnungsmäßig auf Seiten der Buren in Südafrika, gegen die englische Eroberung eingestellt war. Die Antipathie gegen Italien mochte natürlich bei den Harkauern auch als schlechte Erinnerung an die Untreue der Italiener im Dreierbund, an die Rolle der Italiener bei der Volksabstimmung im Jahre 1921 herrühren.
 
Daß die Harkauer trotz dieser wirtschaftlich so schlechten Zeiten nicht so verschuldet waren, wie um die Jahrhundertwende, mag unter anderem sicher auch darauf zurückzuführen seindaß sie aus der Vergangenheit gelernt hatten, "sich nach der Decke zu strecken", wenn es auch oft sehr schwer fiel. Aber Zwangsversteigerungen, wie sie um die Jahrhundertwende so oft vorgekommen waren gab es in dieser Zelt trotz allem nicht mehr. Nach dem Anschluß Osterreichs an Deutschland (1938) fanden junge Burschen während der Sommer- und Herbstzeit genügend Arbeitsmöglichkeit in der "Ostmark". Waren früher Arbeiter von den jetzt burgenländischen Gemeinden nach Harkau gekommen, um bei der Ernte und beim Dreschen Frucht für ihre Familie für das ganze Jahre zu verdienen, so hatte sich die wirtschaftliche Lage ganz gewandelt. Jetzt arbeiteten Harkauer junge Burschen in Österreich. Daß diese jungen Männer im "Waldviertel" durch ihre Arbeiten schon zum Einmarsch in die Tchechoslowakei integriert waren, konnte ihnen ja damals auch nicht bewußt.
 
Quelle:"Harkau - mein Heimatdorf ",
die Geschichte eines deutschen Bauerndorfes in Westungarn
Andreas Schindler (1987)