Wie ich es bereits bei den Schulverhältnissen geschildert habe, konnte sich Ungarn mit der Zerstückelung ihres Landes durch den Trianoner Friedensvertrag, im Jahre 1920, niemals abfinden. Alle Bestrebungen der Magyaren gingen dahin, den Vertrag zu revidieren. Darum wurde die Jugend in der Schule und die obligatorische "Jugendorganisation Levente" im Geiste der "Irredenta" erzogen, der in Sprechchören hörbar, in den Aufdrucken der Schulhefte überall zum Vorschein kam: "Nem, nem soha" (zu deutsch: Nein, nein, niemals!- werden wir uns mit diesem Friedensvertrag abfinden). Diesem Geist huldigte auch jede Regierung des Landes, egal wer Ministerpräsident war.
 
Reichsverweser Horthy und sein Ministerpräsident Gömbös, beide Rechtsradikale, versuchten Hitler und Mussolini dafür zu gewinnen, bei der Vergrößerung Ungarns mitzuwirken, um die nach dem Ersten Weltkrieg verlorenen Gebiete Ungarns wieder zurückzugewinnen. Horthy schlug schon 1936 Hitler die Vernichtung der Tschechoslowakei, "dieses Krebsgeschwür Europas", vor, und zwar sollten Deutschland und Ungarn die Tschechoslowakei überrennen (Dr. Weidlein: Ungarns Revisionspolitik).
 
Laut Gyurkó Laszlo, der das Leben des jetzigen Parteisekretärs, Kádár János, beschreibt, wußte nicht nur Horthy sondern auch der anglophile Ministerpräsident Stephan Bethlen, daß sie ihre Revisionspläne nur mit Hilfe Deutschlands durchführen können. Hitler erwiderte dem Ministerpräsidenten bei dessen Antrittsbesuch: "Wer sich zur Tafel setzen will, muß wenigstens beim Kochen helfen" (S.89).
 
Tatsächlich erhielt Ungarn im Oktober 1938 durch den 1. Wiener Schiedsspruch einen Teil von Oberungarn, 1939 die Karpatho-Ukraine und 1940 durch den 2. Wiener Schiedsspruch Nordsiebenbürgen zurück. Im Frühjahr 1941, im Krieg Deutschlands gegen Jugoslawien, besetzten die Ungarn die Batschka, so daß Horthy den Beinamen "Országgyarapitó" (d.h. Landesvermehrer) erhielt.
 
Als am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, betraf uns das in Ungarn nicht unmittelbar. Auch von den Vorbereitungen - von denen die südlichen Nachbargemeinden, die ja seit dem "Anschluß" im März 1938 zum "Reich" gehörten, betroffen waren - merkten wir kaum etwas, oder wir wollten es nicht wahrhaben, da wir alle gegen einen Krieg waren. Unsere Väter hatten uns viel zu viel Schlimmes und Grausames vom Ersten Weltkrieg erzählt, als daß wir uns für einen Krieg begeistern hätten können. - An diesem 1. September fuhr ich mit dem Pferdewagen meine Mutter morgens zum Einkaufen nach Ödenburg, wie das wöchentlich 1-2 mal geschah. Als wir mittags gegen 14 Uhr nach Harkau kamen, war unser Hof voller Leute, die sich die Nachrichten im Radio anhörten. Wir waren damals die einzigen in Harkau, die ein Lautsprecher-Radio besaßen. Das war in das Hoffenster gestellt worden und laut aufgedreht, damit die versammelte Menge die Übertragung, die Nachrichten hören konnte. (Wahrscheinlich gab es aber im Dorf einige Radiogeräte mit Kopfhörern.) Wir waren alle erschüttert über den Ausbruch des Krieges und hofften, daß er sich auf Deutschland und Polen beschränken möge. Vorerst war man froh, daß in Ungarn nicht mobilisiert wurde. Nach der raschen Niederwerfung Polens hofften wir wieder alle auf den Frieden. Leider kam er nicht! Die Leute wurden verwöhnt von den Siegesmeldungen der Deutschen Wehrmacht. Es wurden auch immer mehr Radios im Dorf angeschafft, so daß die Leute immer die neuesten Nachrichten hörten. Als im Frühjahr 1941 der Krieg sich auch auf den Balkan ausbreitete, überflogen unzählige Flugzeuge unser Gebiet, ein Teil des Heeres zog durch unser Gebiet gegen Jugoslawien. Wahrscheinlich erteilte Ungarn dem Reich die Erlaubnis zum Durchmarsch, da es ja selbst wieder versuchte, einen Teil ihres 1920 verlorengegangenen Gebietes zurückzuerhalten. Ungarn besetzte die "Batschka" (zwischen Donau u. Theiß), in der verhältnismäßig viele Deutsche wohnten. Aber auch davon waren unsere wehrpflichtigen Harkauer kaum berührt.
 
Quelle:"Harkau - mein Heimatdorf ",
die Geschichte eines deutschen Bauerndorfes in Westungarn
Andreas Schindler (1987)