a) Die schnelle Entwicklung der Gemeinde.
Auffallend war der Bevölkerungszuwachs, der weit über dem Landesdurchschnitt lag. Von 1816 bis 1900 stieg die Bevölkerungszahl von 820 auf 1.578. Dieses grosse Wachstum wurde durch eine überdurchschnittliche Vermehrung verursacht. Die klein angelegte Einwanderung kam mehr den Katholiken zugute. Die Gesamtfläche der Gemeinde betrug knapp 900 Katastraljoch. Davon waren 240 Joch Wald und 600 Joch Anbaufläche. Das Land war zu zerstückelt, es bot der wachsenden Bevölkerung keine Arbeitsmöglichkeit und Lebensunterhalt. Die Gemeinde zeigte äußerlich weiterhin den Charakter eines Dorfes, aber ihre soziale Struktur änderte sich. In der ursprünglichen Agrargemeinde fanden wir am Ende des Jahrhunderts nur noch 30 - 35 Bauern und dreimal so viel Kleinhäusler. Der Großteil der Bevölkerung arbeitete in den Ödenburger Fabriken und in der Brennberger Kohlengrube. Außerdem fanden viele im Handwerk und Handel eine Anstellung. Nachdem der ursprüngliche Dorfcharakter verlorengegangen war, aber der ordnende Verwaltungsapparat der Stadt fehlte, glich Wandorf mehr und mehr den übelbeleumdeten Vorstädten.

b) Das Gemeindeleben.
Die schnelle Entwicklung des Dorfes machte sich auch im kirchlichen Leben bemerkbar. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wuchs der Kirchensteuerrückstand soweit an, dass die Gemeindekasse öfters zahlungsunfähig war. Die Gemeinde hatte in Josef Kalkbrenner (1809-1819), Josef Gamauf (1819-1847) und Karl Fleischhacker (1847-1893) hervorragende Geistliche, die aber die durch das schnelle Wachstum und durch die innere Umformung der Gemeinde entstehenden neuen Aufgaben nicht lösen konnten. In der Gemeinde gab es jährlich nur 4 Gottesdienste. Die Gläubigen besuchten immer seltener den Gottesdienst in Agendorf. Dagegen nahmen sie auffällig oft an den Beerdigungen teil, die ja zum Teil den Gottesdienst ersetzten. In der religiösen Erziehung der Gemeinde spielte die Konfirmation eine große Rolle, die man wahrscheinlich am Anfang des Jahrhunderts einführte, weiterhin Bücher und die Schule. Im allgemeinen las man die den Pietisten nahestehende Predigt-, Gebets- und Erbauungsliteratur. Diese Literatur war hauptsächlich in den ersten Hälfte des Jahrhunderts verbreitet. Die in den Händen der Gläubigen aufgefundenen Exemplare ließen auf diese Zeit schließen.

c) Die Schule.
Die Gemeinde hatte viele Sorgen mit der Schule. Sie verdankte ihr starkes Wachstum dem großen Kindersegen. Das hatte aber zur Folge, daß neben der allgemeinden Verarmung die Gemeinde immer mehr schulische Lasten tragen mußte. Die Schule hatte am Anfang des Jahrhunderts schon ein eigenes Gebäude auf dem jetzigen Platz. Wir wissen nicht, ob das Gebäude gekauft oder neu gebaut wurde. Laut Inventar vom Jahre 1842 bestand es aus einem Schulzimmer, einem Wohnzimmer und einer Kammer. Es wurde 1845 gründlich renoviert. Seit langer Zeit stand schon ein Glockenstuhl mit einer Glocke daneben. Am 27. April 1856 brannte das halbe Dorf ab, Schule und Glockenstuhl wurden Opfer der Feuerbrunst. Die Gemeinde baute die Schule schnellstens wieder auf und ließ 2 neue Glocken gießen, deren Einweihung am 2. Februar 1857 war. Die Schule erwies sich bald als zu klein, schließlich baute man nach langen Vorbereitungen 1887 den Hauptteil der heutigen Schule mit Turm, drei Glocken und einer Uhr.

Im Erdgeschoß befanden sich 2 Lehrerwohnungen mit je 3 Zimmern, im ersten Stock 2 große Säle, von denen der eine mit einem Chor versehen war. Er diente von Anfang an auch als Betsaal. Die neue Schule wurde am 11. September 1887, eingeweiht. Die Gemeinde brachte die Baukosten in Höhe von 14.000 Gulden selbst auf. Sie war mit der Tilgung der Schulden bis Anfang des Jahrhunderts beschäftigt. Da Ende der achtziger Jahre die Schülerzahl auf 200 anstieg, mußte 1893 eine dritte Lehrerstelle eingerichtet werden. Die Lehrer waren im allgemeinen kirchentreu, vor allem der Nachfolger von Johann Lux, Matthias Halwax(1828-1869), Matthias Rauner war hier nur kurz Lehrer, war oft kränklich und starb früh (1870-1872). Karl Sonntag war ein guter Pädagoge, doch eines Fehltrittes wegen mußte er schnell seine Stelle aufgeben (1877-1883) und starb Anfang der vierziger Jahre nach langer Not in Ödenburg. Von Johann Hafenscher und Philipp Nitschinger wird an anderer Stelle die Rede sein. Zur Pflicht der Lehrer gehörte das Abhalten der sog. Christenlehre (Katechisation) am Sonntagnachmittag. Es ist nicht bekannt, ob sie dem auch nachkamen.

Quelle: Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Wandorf
Prof. Pröhle (1950), übersetzt aus dem Ungarischen von Matthias Ziegler