a) Kirche oder Pfarrhaus?
Der Obersekretär des deutschen Gustav-Adolf-Vereins Dr. Bruno Geißler besuchte mich am 12.1.1939 um an Ort und Stelle festzustellen, wie weit die Vorbereitungen für den Kirchen- und Pfarrhausbau gediehen seien. Er erklärte, daß die Leitung der Gemeinde schon seit Jahren verspräche, daß mit dem Bau begonnen würde und die Gemeinde deshalb immer wieder Beihilfen erhielte. Der Gustav-Adolf-Verein werde die Spenden so lange sperren, bis mit dem Bau begonnen sei, und wenn das nicht bald geschähe, würde er die bisherigen Spenden anderen zukommen lassen. Wir unternahmen die notwendigen Schritte, doch sofort tauchte die Frage auf: Was bauen wir? Kirche oder Pfarrhaus? Im Jahre 1937 hätten wir mit der vorhandenen und der zu erwartenden Summe wahrscheinlich noch beides erstellen können. Jetzt, nach der Teuerung, war nur noch ein Objekt zu verwirklichen. Seit Jahrzehnten hatte sich im Bewußtsein der Gemeinde folgende Reihenfolge festgesetzt: Kirche, Pfarrhaus und dann die Verselbständigung der Gemeinde. Mit der Verselbständigung änderte sich die Reihenfolge. Zum Pfarramt gehört ein Pfarrhaus. Auch andere Gesichtspunkte sprachen dafür. Ein gottesdienstlicher Raum war ja auch vorhanden. Und für einen eventuellen Kirchenbau reichte das Geld bei weitem nicht aus; der Kirchenbau hätte die Gemeinde so stark erschöpft, daß man lange Zeit hindurch nicht an den Pfarrhausbau hätte danken können. Wegen der Wohnungsverhältnisse in Wandorf war der Bau des Pfarrhauses dringend nötig. Eine Zweizimmerwohnung war kaum vorhanden und in der überfüllten Gemeinde hätte man auch für teures Geld keine entsprechend Wohnung finden können. Nach Abwägen all dieser Gesichtspunkte kam am 2.4.1939 der Entschluß der Hauptversammlung zustande, wonach zuerst das Pfarrhaus und dann die Kirche gebaut werden sollte.

Mit dem im Jahre 1932 gekauften Grundstück war im Grunde genommen niemand zufrieden. Anfang 1939 ließ ich durch evangelische Ödenburger Architekten das Grundstück begutachten und auch sie hielten es für den vorgesehenen Bau untauglich weil es am Dorfrand und einem ganz offenen, windigen Platze liege. Die Hauptversammlung beauftragte einen Bauausschuß mit der Suche nach einem geeigneten Grundstück. Verschiedene Möglichkeiten – mehr als 20 – kamen in Frage. Ich zähle nur einige auf: Auf dem Hauptplatz, in den sog. Winkl, Hauptplatz Nr. 1, auf dem freien Gelände rechts von der Schule, auf dem Platz der Post, auf dem Schöll-Garten, auf dem Platz des Ungerschen Hauses, im Ziegler-Park, auf dem Gelände der Pahr-Mühle u.v.a. Der Grundstückkauf war in der kriegerischen Zeit unmöglich. Wegen der Angst einer Geldentwertung wollte niemand Immobilien verkaufen. Und wenn man solche anbot, dann verlangte man einen unerhörten Preis. In mehreren Fällen verlangten sie 40-50 Pengö, für dieses Geld hätte man in Ödenburg auf dem Deák Platz ein Grundstück kaufen können. Nachdem man bis Anfang 1940 kein geeignetes Grundstück gefunden hatte und den Baubeginn nicht weiter hinauszögern konnte, war die Gemeinde gezwungen, sich mit dem vorhandenen Grundstück zu begnügen.

Pläne und Kosten
Im Januar 1940 kümmerte sich der Kircheninspektor Egon Rácz, nachdem er sich über die allgemeinen Kirchenangelegenheiten orientiert hatte, tatkräftig um den Bau. Durch die Ödenburger Architekten Oskar Winkler ließ er einen Plan erstellen, der sich im Rahmen von 28.000,-- Pengö hielt. Mit Ödenburger und Agendorfer Bauern verhandelte er wegen der Gratisfuhren. Das nötige Ziegelquantum kaufte er und veranlaßte seinen Transport. Wegen seines Herzleidens übernahm ich binnen kurzem die Leitung des Baus. Die Pläne mußten überarbeitet werden. Wir versuchten umsichtig zu sein. Wir mußten folgende Gesichtspunkte beachten: Die Gemeinde hatte einen städtischen Charakter, es war keine Gelegenheit, sich wirtschaftlich zu betätigen, folglich mußte auch das Pfarrhaus städtisch sein. Die Gemeinde war groß und somit mußte man auch an einen Kaplan denken. Da das Gehalt im Vergleich zur großen Gemeinde klein war, sollte wenigstens das Pfarrhaus attraktiv sein. Das Gebäude sollte zeitgemäß ausgestattet sein, denn ein mit minimalen Ansprüchen gebautes Pfarrhaus würde schnell als veraltet gelten. An Stelle der vorgeschriebenen 3 großen Zimmer sollten ein großes, ein mittleres und zwei kleinere Zimmer entstehen, damit das Pfarrhaus dem im Laufe der Zeit wechselnden Lebensstandard entspreche. Da freilich auch das Prinzip der Sparsamkeit zur Geltung kommen mußte, wurde der ursprüngliche Plan ziemlich komprimiert. Von den im Jahre 1937 angefertigten Plänen ausgehend, entstand der ausgereifte Plan eines einstöckigen Pfarrhauses. Im Erdgeschoß sollten ein Gesellschaftsraum, zwei Amtsräume und ein Kaplanzimmer entstehen. Dagegen agitierte besonders der Gemeinderichter mit der Begründung, daß ein stockhohes Gebäude teurer sei als ein ebenerdiges. Da wir an der allgemeinen Stimmung merkten, daß daran die ganze Bautätigkeit platzen könnte, ließen wir den Etagenbau fallen und einen Parterreplan im früheren Rahmen anfertigen, doch ohne Gemeindesaal. Der Gemeindesaal wäre im Vergleich zur Gemeindestärke ohnehin zu klein gewesen, sogar für die Aufnahme der Konfirmanden nicht geeignet. An den Bau eines größeren Saales war nicht zu denken. Bei der zum 18. Februar 1940 zusammengerufenen Hauptversammlung, zu der auch die Opposition erschien, sollte ein Beschluß über die Bauweise des Pfarrhauses gefaßt werden. Die Hauptversammlung fand einen einstimmigen Beschluß. Unvergessen humorvoll war die Szene, als der eine Anwesende, etwas angeheitert, in seiner Mundart in die Unterredung eingriff und meinte: "jetzt ham ma a Vögerl, so brauch ma a Heiserl aa!". Nachdem die Behörden und die Kirchenverwaltung ihre Billigung ausgesprochen hatten, konnten wir den Bau ausschreiben lassen. Den Bau übernahm der Ödenburger Bauunternehmer Franz Becska, die anderen Arbeiten erhielten Ödenburger und ortsansässige Handwerker. Der erste Spatenstich erfolgte am 22.5.1940, gerade als die Deutschen Frankreich überrannten. Im Herbst war das Haus bezugsfertig. Die Einweihung fand am 3.11.1940 im schlichten Rahmen statt, wobei auch Pfarrer Dr. Grimm in Vertretung des Gustav-Adolf-Vereins anwesend war. Die Baukosten waren inzwischen angewachsen. Nach der im Jahre 1943 angefertigten Aufstellung betrug die Gesamtsumme 39.000,-- Pengö. Davon 31.500,-- Pengö für das Gebäude, der Rest für Bauplatz, Umzäunung, Brunnen und die Kosten des Architekten. Im Jahre 1943 beglich die Gemeinde schon die letzte Rate der Bauschulden.

d) Die Resonanz der Bautätigkeit
Beim Bau des Pfarrhauses war die Situation dieselbe wie bei der Verselbständigung der Gemeinde: er mußte erfolgen, und es wäre schade gewesen, wenn man ihn verzögert hätte, aber seelisch reif war die Gemeinde dafür nicht. Die vorschriftsmäßig zustande gekommenen Beschlüsse fixierten nur die Meinung einer Minderheit, die Mehrheit distanzierte sich davon, ja sie mißbilligte sie sogar und blieb den Sitzungen fern. Der Pfarrhausbau steigerte die vorhandenen Gegensätze noch. Die meisten fürchteten sich vor den neueren Lasten. Nachdem man seit 1939 die Kirchensteuer wegen Teuerung von Jahr zu Jahr erhöhen mußte, behaupteten die Hetzer, daß dies wegen des Pfarrhausbaues sei, und viele schlugen dann beim Einsammeln der Steuer im Gemeindehaus Krach. Nach 1943 beruhigten sich die Gemüter, sie fingen an, den Pfarrhausbau zu vergessen, und man mißbilligte nur, daß ich allein in dem großen Hause wohnte. Sie wollten, daß ich heirate. (Das geschah dann am 25.8.1949) In Verbindung mit dem Pfarrhaus mußte ich zwei Irrtümer aufklären. Man erzählte, daß das Pfarrhaus außerordentlich geräumig und groß sei. Die Wirklichkeit war, daß es im Dorf tatsächlich zu den größten Häusern gehörte, aber die meisten Pfarrhäuser, sogar das Agendorfer Pfarrhaus, waren größer als das Wandorfer. Der Anschein der Größe und Geräumigkeit wurde dadurch erweckt, daß das Gebäude stark aus dem Erdreich herausragte und die Besucher nur die leeren Zimmer sahen. Der zweite Irrtum aber war, daß das Pfarrhaus für fremdes Geld erbaut wurde. Wir wollen die Größe und Bedeutung der Spenden des Gustav-Adolf-Vereins nicht schmälern, aber Tatsache ist, daß diese nur 60% der Gesamtkosten deckten, 11% kamen von inländischen Spenden, während 29% der Kosten die Gemeinde trug, das waren 10.000,-- Pengö. 4/5 dieser Summe flossen nach 1939, zum Zeichen, daß es in der Gemeinde nicht nur Gegner gab, sondern auch solche, die den Pfarrhausbau finanziell unterstützten.

Quelle: Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde in Wandorf
Prof. Pröhle (1950), übersetzt aus dem Ungarischen von Matthias Ziegler