Teil 4: Kündigungen - Baustelle - Neuanfang?

 

Kompetenzfragen und damit verknüpfte Probleme zwischen Management, Vergabe-Experten, technischen Prüfern, der Bürgermeisterin und der Schuldirektorin eskalierten dann anscheinend auch innerhalb der DSVA - welche ja Trägerin der Schule und des Projektes war und damit die volle Verantwortung trug - es kam  zu erheblichen internen Konflikten. Die Folge war ein Wechsel im Vorsitz der Selbstverwaltung sowie der Rücktritt zweier Abgeordneten und die Neubesetzung ihrer Posten durch die Listen-Nachrücker.

Ausschlaggebend für den Rücktritt einer Abgeordneten soll gewesen sein, dass die eigenen Entscheidungskompetenzen für die Schule von der DSVA an die Bürgermeisterin abgegeben wurden und im Protokoll darüber festgehalten war, dass einstimmig dafür abgestimmt worden sei, obwohl sie dagegen abgestimmt hatte. Nachdem die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen die DSVA ermahnt hatte, dass nicht alle Entscheidungsbefugnisse abgetreten werden dürften, wobei die volle Verantwortung bei der DSVA verbleiben würde, wurde dieses Protokoll korrigiert und auch der Beschluss angeblich zurückgezogen (Ein Beleg darüber ist in den Protokollen nicht zu finden). Da die letzte Eintragung auf der Website der Agendorfer Gemeinde (Subseite: Német Nemzetiségi Önkormányzat = DSVA) über die Protokolle vom 11. März 2020 stammt, kann man alle weiteren Geschehnisse bis heute (1. September 2020) nur mangelhaft rekonstruieren.

Sicher ist jedenfalls, dass man erheblich im Verzug war: die Jahre 2017 und 2018 verstrichen ohne sichtbares Ergebnis, das erst im Mai 2019 ausgeschriebene, erste Vergabeverfahren verlief erfolglos. Die darin geplante erste Bau-Etappe hätte bereits am 31. Mai 2020 abgeschlossen sein müssen.

Noch dazu wurden wichtige Posten im Projekt mindestens dreimal mit neuen Personen besetzt und auch immer wieder umdisponiert.

isk2 800pxNach der Kündigung des zweiten Projektmanagements bis zum 17.04.2020 und der Pädagogen (siehe nachfolgender Absatz) kam es dann zur Krisensitzung zwischen der Gemeindeleitung, der DSVA, Vertretern der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen und dem Parlamentsabgeordneten für Minderheiten, Emmerich Ritter. Dieser versprach der Gemeinde, sie voll zu unterstützen und schlug vor, bei der Verwaltungsbehörde des Projektes sofort einen sog. "Befreiungsantrag zum ersten Meilenstein" einzureichen, da dieser nicht termingerecht erfüllt werden konnte. Er rechnete damit, dass mit den Arbeiten dann mit dem neuen Projekt-Team nach der Umplanung und nach erfolgreichem Ablauf des Vergabeverfahrens – auch wetterabhängig – Anfang 2021 begonnen werden könne. Trotzdem sei die Zeit sehr knapp, da alles bis zum August 2022 fertig sein müsse. Die Gemeindeleitung (wie auch später die neue Direktorin im Fernsehen) äußerten sich optimistischer.

Was genau letztendlich zur Kündigung der Schuldirektorin und acht weiterer Pädagogen geführt hat, ist leider unklar. In der Bevölkerung kursiert einerseits das Gerücht , dass sie zur Kündigung gedrängt wurden, weil man einen Sündenbock brauchte. Andere sehen die Kündigung der Direktorin und der Lehrer als "Verrat"  an den Kindern an.

Die für uns einsehbaren Dokumenten ergeben keinerlei Hinweise darauf, dass die Schuldirektorin in irgendeiner Weise vertraglich mit dem Bau-Projekt etwas zu tun gehabt hätte. Sie scheint eher zusätzliche Aufgaben übernommen zu haben, die entweder jene des Projektmanagements oder der DSVA gewesen wären.

Dass die acht Pädagogen, die gekündigt haben, dies sicher nicht leichtfertig taten ist klar: Sie nahmen einen Karriereknick in Kauf und erleben erschwerte Arbeitsbedingungen. Viele Familien haben aufgrund der Vorfälle ihre Kinder aus der Agendorfer Schule genommen - auch dies ist ganz sicher kein Schritt, den man unüberlegt und ohne Not geht! Wir gehen davon aus, dass es viele Mißverständnisse und Fehlentscheidungen gab und finden es sehr bedauerlich, dass erfahrene Pädagogen, die viele Jahre ihres Lebens dem Wohle und der Bildung der Kinder in Agendorf gewidmet haben, sich zu diesem drastischen Schritt gezwungen sahen!

Im Sommer 2020 wurde eine neue Schuldirektorin, Kükedi Józsefné (ehemalige stellvertretende Direktorin der Gárdonyi-Schule in Ödenburg) eingestellt und übernahm somit eine schwere Aufgabe: Zu den fünf verbliebenen Pädagogen musste sie die Lehrerschaft aufstocken und ermöglichen, dass das Schuljahr am ersten September regulär beginnen kann. Dies scheint ihr gelungen zu sein, wie sie in einem Fernseh-Interview in Sopron TV am 25.08.2020 bekanntgab. Auch die Container werden bis Schulbeginn eingerichtet. Auch was den Baubeginn angelangt, äußerte sie sich zuversichtlich: Ende Oktober soll begonnen werden.

Folgendes wollen wir zu den Ereignissen zusammenfassend festhalten:

  • Das Schulgebäude musste neu geplant werden (Kostenfaktor: über 10 Millionen HUF). Aus Kostenspargründen wird ein sog. Leichtbau (gering tragende Betonfertigteile) angewendet.
  • In der Sitzung der DSVA vom 24. August 2020 wurde der Beschluss gefasst, das neue Vergabeverfahren unter der Leitung des (neuen?) Vergabe-Experten zu starten.
  • Der Anschluss zur elektrischen Versorgung der Container-Schule wurde in Auftrag gegeben.
  • Ein Bauunternehmer für den Geheweg zu den Containern und ein neuer fachlicher Leiter sind beauftragt worden.

Letztendlich stellt sich die Frage, wie die momentane Lage aus der Sicht der deutschen Minderheit zu beurteilen ist? Sprach- und Kulturerhaltung funktionieren unserer Meinung nach allein in den deutschsprachigen Familien nicht mehr. Die LdU sieht das auch so, und hat auch die volle Unterstützung geleistet, um durch die Änderungen der Gesetzeslage vor allem dort, wo es dem Spracherhalt am meisten dienlich ist – in den Schulen und Kindergärten – eine Verbesserung der Lage herbeizuführen. Auch Agendorf profitiert hiervon.

Wie aber sieht die Situation der Deutschen Minderheit in Agendorf jetzt aus?

  • Die Blaskapelle existiert nicht mehr.
  • Mit der Direktorin hat auch der Gesangsverein „Morgenröte“ die Chorleiterin verloren.
  • Alle Deutschlehrer sind gegangen - was wird aus dem deutschprachigen Unterricht?
  • Die ehemalige Schul-Direktorin - eine Wandorferin aus den Reihen der deutschen Minderheit - war ein Motor im kulturellen Leben von Agendorf in allen Belangen: Organisation, Dolmetschen, Chor, Einführen des Volkstanzes in der Schule, Feste, Partnerschaftsbeziehungen, Zusammenarbeit mit der LdU, usw. Ihr Verlust ist in vielen Bereichen spürbar und mit Sicherheit nicht in diesem Ausmaß zu ersetzen.

Den Zielsetzungen, die auch in den Dokumenten „Steh dazu! Strategie der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen bis 2020 sowie – nur auf den Unterricht bezogen – „Leitsätze und mittelfristiger Entwicklungsplan für das ungarndeutsche Schulwesen“ festgehalten sind, kann man entnehmen, dass bei der Agendorfer Schule Folgendes angestrebt werden soll:

  • Wechsel vom Schultyp mit Minderheiten-Sprachunterricht 3.a., wo in 5 Wochenstunden deutsche Sprache und Literatur (eher als Fremd- und weniger als Nationalitätensprache) unterrichtet wird. Dazu kommt noch eine Stunde pro Woche: Ungarndeutsche Volkskunde. Alle sonstigen Schulfächer werden auf Ungarisch unterrichtet. Einen Schritt nach vorne würde Typ 3.b. bedeuten (siehe Auflistung hier), wo die Schule in max. 30% der Stunden einige Fächer auf Deutsch anbieten kann. Davon sind wir jetzt entfernter denn je, obwohl alle Unterstützungen eigentlich für die deutsche Minderheit geflossen sind.

Seit dem politischen Systemwechsel in Ungarn sind mehr als 30 Jahre vergangen und auch Agendorf befindet sich in einem Lernprozess. Es geht um Demokratie, um Rechtsstaatlichkeit und soziologische Strukturen, die sich in dieser – für den Einzelnen – sehr langen Zeit nicht in jedem Bereich entsprechend entwickelt haben. Es geht – nicht zuletzt – auch um den moralischen Zustand und das Verhalten der Menschen, der Akteure in einer Gemeinde. Ist Gemeinde in einer demokratischen Gesellschaft einer Gemeinschaft gleichzusetzen?

Wie lässt sich die Leistung von gewählten Leitern, bezahlten Managern usw. oder jene der Kontrollorgane, Behörden überhaupt beurteilen? Was bedeutet Transparenz? Das sind Fragen, über die wir alle nachdenken müssen..........

 

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